Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
nicht übrig – in der Endphase des Kriegs waren die Israelis im Verhältnis von 20:1 den Fedajin überlegen gewesen. Am 19. August unterschrieb Arafat einen Vertrag, der die Verteilung
der palästinensischen Soldaten auf neun arabische Länder vorsah. Zwei Tage später begann der »Exodus der Kämpfer«, wie wir es nannten, unter den Augen einer internationalen Schutztruppe aus Franzosen, Amerikanern und Italienern.
Die Israelis hatten sich einen letzten, kleinen Triumph erhofft, als sie verlangten, dass Arafats Männer den Weg zu den Schiffen im Hafen unbewaffnet und mit weißen Fahnen in den Händen antreten sollten. Arafat widersetzte sich diesem Ansinnen, und es war Saad Saeil, der Oberkommandierende der palästinensischen Streitkräfte, der einen Rückzug in Würde organisierte. Saeil, ein korrekter, wortkarger, stets gut rasierter Mann, der eine Ausbildung an der Militärakademie der Amerikaner in West Point genossen hatte, gab den Befehl, mit geputzten Stiefeln, rasiert, die Waffe in der Hand und unter wehenden Fahnen aus der Stadt zu ziehen. Was die Hunderttausende, die sich zum Abschied im Hafen von Beirut eingefunden hatten, in den folgenden Tagen zu sehen bekamen, war also keine geschlagene Truppe, die sich vom Schlachtfeld schlich, sondern eine Armee von ungebrochenen, unbesiegten Kämpfern.
Die Mitglieder des militärischen Oberkommandos verließen Beirut als Letzte. Eine Einheit von fünfzehn israelischen Soldaten bezog an diesem Tag in einem leer stehenden Haus im Hafen Stellung, und während Arafat, von Leibwächtern umringt, den Wartenden am Kai die Hände schüttelte, nahm ihn ein israelischer Scharfschütze ins Visier. Zu Scharons Bedauern drückte er jedoch nicht ab – Arafat zu liquidieren wäre gegen die Vereinbarung gewesen, die Begin mit den Amerikanern getroffen hatte. Dann bestieg Arafat ein griechisches Schiff und fuhr über Griechenland nach Tunis, das neue Exil der PLO-Führung. In seinem letzten Interview auf libanesischem Boden hatte ihm ein ausländischer Journalist die durchaus sarkastisch gemeinte Frage gestellt: »Und wo geht es jetzt hin, Herr Präsident?« Und Arafat hatte, vollkommen ernst, geantwortet: »Nach Palästina.«
Ich hatte den Krieg von Deutschland aus verfolgt und mit dem Schlimmsten gerechnet. Bis heute erscheint mir unbegreiflich, wie so wenige Verteidiger in einer derart verzweifelten Lage so lange durchhalten konnten. Auch die Israelis verstanden es nicht. Scharon hatte versprochen, die Führung der Fatah wie Fische in einem Netz aus Beirut herauszuziehen und in Tel Aviv abzuladen. Und nun, nachdem Israel 120 000 Mann aufgeboten und den Libanon mit allem, was die westliche Rüstungsindustrie an Hochtechnologie zu bieten hatte, aus der Luft, zu Land und vom Meer aus angegriffen hatte, lag Beirut in Trümmern, aber die PLO existierte immer noch, und Arafat lebte. Scharons Plan war gescheitert, Begins Wünsche hatten sich nicht erfüllt.
Ein Jahr später trat Begin als Ministerpräsident zurück, von Depressionen zermürbt. Er starb 1992 in seinem Haus, das den Standort des ehemaligen palästinensischen Dorfs Deir Yassin überblickte, Schauplatz des größten Blutbades der Irgun unter ihrem damaligen Chef Menachem Begin.
Zerreißproben
Warum Tunesien? Nun, die PLO konnte bei der Wahl ihres neuen Zufluchtsortes nicht aus dem Vollen schöpfen. Syrien kam wegen der bekannten Rivalitäten nicht infrage, Jordanien schied schon der Erinnerung wegen aus, die sich mit diesem Land verknüpfte, der Irak war in einen mörderischen Krieg mit dem Iran verstrickt, und Ägypten war 1977 aus der Arabischen Liga ausgeschlossen worden, nachdem Sadat einen Separatfrieden mit Israel geschlossen hatte. Da der Jemen, der Sudan und die Golf-Emirate zu entfernt lagen, blieb nur Nordafrika, und hier sprach alles für Tunesien: Sein Präsident Habib Bourguiba galt – auch im Westen – als vergleichsweise liberaler Politiker, der ein Land regierte, in dem Ruhe und Ordnung herrschten; außerdem war nach dem Ausschluss Ägyptens der Sitz der Arabischen Liga nach Tunis verlegt worden. Im Übrigen galt die Gastfreundschaft der Tunesier allein der PLO-Führung. Die Aufnahme von Flüchtlingen oder Kämpfern war ausdrücklich ausgeschlossen worden, sodass in Tunesien keine Konflikte wie im Libanon oder in Jordanien zu erwarten waren.
Es war ein schmerzlicher Abschied von Beirut für Arafat, aber verbittert war er nicht. Verbittert habe ich ihn überhaupt nie erlebt, auch dann nicht,
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