Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall
dem Namen eines berühmten Maestros schmücken. Ein Levine wiegt drei unbekannte Maestros auf. Das System ist völlig krank.«
»Was kann man dagegen tun?«
»Kämpfen, um jede Chance, die sich bietet. Eines Tages muss es gelingen. So kann es nicht weitergehen.« Von den beiden unbemerkt kam Raimondi aus der Nullgasse auf die Bühne. »Was kann so nicht weitergehen?«
Kilian drehte sich zu ihm um. »Wir sprachen von den Schwierigkeiten, mit denen junge Künstler heutzutage zu kämpfen haben.«
Das Thema interessierte ihn nicht sonderlich. Er stieg in den Orchestergraben, legte seine Unterlagen auf den Tisch.
»Es war zu allen Zeiten schwierig. Ich kann dieses Gejammere nicht mehr hören. Klasse setzt sich durch, Mittelmaß schmiert ab. Vor hundert Jahren genauso wie heute.«
Franziska zischte fast unhörbar etwas vor sich hin, was in Kilians Ohren klang wie: Du wirst dein Fett noch kriegen.
Sie packte ihren Schulranzen und nahm neben Raimondi Platz. Er schaute auf die Uhr. »Was ist los? Wo sind meine Darsteller? Die Probe beginnt jetzt.«
Die Frage war an Franziska gerichtet. Unbeeindruckt von der drohenden Gefahr, die diese Worte für ihren neuen Posten bedeuten konnten, antwortete sie:
»Alle wissen Bescheid. Natürlich nicht über den offiziellen Probenplan, sondern ich habe sie mündlich unterrichtet. Denn eigentlich findet diese Probe ja gar nicht statt und wir sind überhaupt nicht hier. Insbesondere Sie. Sie sind ja gefeuert.«
Raimondi lächelte. Franziska beeindruckte ihn mit ihrer direkten, offenen Art, mit ihm zu sprechen. So mussten seine Assistentinnen sein, nicht so wie diese Endres. Kilian erhob sich. »Weiß mein Kollege Bescheid, der Sie in meiner Abwesenheit bewachen sollte?« Raimondi lachte laut. »Bewachen! Ha, bin ich jetzt schon euer Gefangener?«
»Nennen Sie es, wie Sie wollen«, antwortete Kilian.
»Wenn Sie selbst keinen Pfifferling auf Ihr Leben geben, dann kann ich Ihnen auch nicht helfen. Also, wo ist er?«
»Keine Ahnung. Suchen Sie ihn doch.«
Kilian erinnerte sich an Aminta. Sollte der Fatzke doch eine Abreibung von Batricio bekommen. Vielleicht würde das ihn ja wieder auf den Boden zurückholen.
Ja er könnte noch immer im Haus sein. Als Kilian Aminta verließ, fragte er beim Pförtner nach, ob er Batricio hatte weggehen sehen. Die Antwort war nein. Doch das konnte alles oder nichts bedeuten. Wie bei den beiden Anschlägen und dem Tod Sandners konnte jeder das Haus ungesehen verlassen und wieder betreten.
Wo steckte Batricio? Er war eine tickende Zeitbombe.
*
Heinlein betrat mit Edik das Theater. Der Plan war einfach. Zusammen wollten sie jeden Raum und jedes Gesicht unter die Lupe nehmen, um die Käuferin der .38er ausfindig zu machen.
»Wie kommen Sie darauf, dass sie hier ist?«, fragte Edik.
»Weil ich es weiß«, antwortete Heinlein knapp.
»Sie kann genauso gut in einer Bäckerei oder in einem Kindergarten arbeiten.«
»Nenn es Intuition oder einfach Berufserfahrung. Sie ist hier und damit basta.«
»Was, wenn ich sie wieder nicht erkenne?«
»Dann gehst du in den Bau. Also, streng dich an.« Natürlich war das eine leere Drohung. Heinleins Art, den Jungen zu motivieren.
Sie durchkämmten, bei der Kantine im Untergeschoss angefangen, jeden Raum, platzten in jede Probe, standen den Kostümbildnerinnen im Weg, hielten die Handwerker in den Werkstätten auf und störten Telefonate der Verwaltungsangestellten.
Erschöpft machten sie nach einer Stunde Pause. »Ich hatte mir mehr davon versprochen, als wir bisher herausgefunden haben«, sagte Heinlein. Er fürchtete, dass er mit seiner Vermutung, die gesuchte Person sei am Mainfrankentheater angestellt, auf einer falschen Fährte war.
»Machen Sie sich nichts draus«, antwortete Edik, »war ’ne klasse Führung durchs Theater. Jetzt weiß ich endlich, was hier gespielt wird.«
Edik stand auf und betrachtete sich die Zeitungsausschnitte, die an der Wand hingen, näher. Es waren Kritiken über Aufführungen am Mainfrankentheater und an anderen Häusern, aber auch zahlreiche Veranstaltungshinweise.
»Ich wusste gar nicht, dass bei uns in der Gegend so viel los ist.«
»Kein Wunder, wenn ihr den ganzen Tag auf eurem Hügel rumhängt. Es wär mal nicht schlecht, wenn …«
»Das ist sie!«, unterbrach ihn Edik. Er deutete auf einen Zeitungsausschnitt, der über die Aufführung der Zauberflöte am Theater in Schweinfurt berichtete. Das Bild zeigte den Dirigenten, die Hauptdarsteller und die Pianistin, auf
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