Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall
Ein für alle Mal. Also, Sie besorgen sich eine Waffe, warten den günstigen Moment ab, als Sandner bei Reichenberg ist, schleichen in sein unverschlossenes Büro, legen die Waffe auf den Tisch und verschwinden wieder, als sei nichts geschehen.«
Franziska schwieg.
Heinlein spann den Faden weiter. »Ich gebe zu, der Plan hatte ein Risikopotenzial, er konnte jederzeit scheitern. Reichenberg hätte Sandner nicht entlassen müssen, oder Sandner hätte sich bei seiner Lebensgefährtin Kayleen McGregor ausweinen können, oder Sandner hätte der Mut für die Tat fehlen können. Sehr viele Oder, ich weiß. Aber ich denke, Sie hatten einfach Glück.«
Franziska lächelte. »Glück? Ist das Ihre Beweisführung?«
Heinlein lenkte ein. »Nein, es ist vorerst nur eine Theorie. Sie ist aber genauso gut wie Ihr Plan, der auf Menschenkenntnis beruhte.«
Franziska ließ Heinleins Theorie einen Moment im Raum stehen. »Okay, mal angenommen, es hätte sich alles so verhalten, wie Sie es soeben geschildert haben. Dann fehlt aber immer noch ein sehr wichtiger Teil, der, meiner Kenntnis nach, für so eine Tat zwingend Voraussetzung ist.«
»Und der wäre?«
»Was hätte ich für einen Grund gehabt, Freddie zu töten oder ihm dabei zu helfen?«
Sie hatte Recht. Heinlein fand kein Motiv für die Tat, so wie die Tat an sich sinnlos war. Wem hatte im Nachhinein Sandners Tod genutzt? Er fand keine Antwort darauf.
Franziska spürte das. »Wenn jetzt nichts weiter ist, dann möchte ich gern gehen. Heute ist Hauptprobe, und dort wartet viel Arbeit auf mich.«
Heinlein taxierte seine Möglichkeiten. Er hatte nichts Stichhaltiges gegen sie in der Hand, um sie hier zu behalten.
Dennoch ein letzter Versuch: »Welches Parfüm benutzen Sie?«
»Wie bitte?«
»Welches Parfüm?«
»Moskino.«
»Riecht das nach Moschus?«
»Auch.«
»Tragen Sie es heute?«
»Nein.«
»Wieso nicht?«
»Weil ich eine Allergie dagegen entwickelt habe.«
»Seit wann?«
»Seitdem jede Zweite damit rumläuft.«
*
Fernsehen, Hörfunk und Internet konnten noch rechtzeitig reagieren. Die Pressemitteilung war am Abend herausgegangen.
Don Giovanni
ist zurück. Die Zeitungsartikel über die Entlassung Raimondis waren bereits bei ihrem Erscheinen an diesem Morgen veraltet.
Der Pressesprecher der Stadt hatte erklärt, dass sich die Intendanz mit dem Regisseur Francesco Raimondi am Abend hatte einigen können. Die Differenzen seien auf Basis eines für beide Seiten akzeptablen Kompromisses bereinigt worden. Raimondi kehre nach nur vierundzwanzigstündiger Abwesenheit an seinen Arbeitsplatz zurück. Man freue sich darüber hinaus, dass die Probenarbeiten zum
Don Giovanni
am folgenden Morgen mit einer Hauptprobe unter der Leitung des Generalmusikdirektors Beat Stiller fortgesetzt werden könnten. Jetzt, nachdem man für die musikalische Leitung und für die Inszenierung zwei Ausnahmekünstler habe gewinnen können, sei man guten Mutes, dass die Produktion dem starken öffentlichen Interesse gerecht werde.
Für den Nachmittag war die Presse eingeladen, um sich ein Bild von der Probenarbeit zu machen.
Raimondi hatte trotz Widerspruch von Stiller darauf bestanden, dass die Presse für eine Stunde an den Proben teilnahm. Die Berichterstattung sollte den Vorverkauf für die Karten weiter anheizen.
Die Premiere war an diesem Morgen bereits um zehn Uhr ausverkauft. Vorbestellungen für die nächsten Aufführungen kamen über Telefon, Fax und E-Mail herein und stapelten sich.
Kilian konnte nur mit dem Kopf schütteln. Hier wurde verbogen, gelogen, getrickst und gemauschelt. In seinem Beruf konnte er sich das nicht erlauben, obwohl sie bei der Kripo durchaus keine Unschuldslämmer waren. Auch dort galt es, den Ansprüchen der Öffentlichkeit gerecht zu werden. Da kam es schon mal vor, dass man Ermittlungen der Situation anpasste. Doch hier galt das uneingeschränkte Gesetz der Marktwirtschaft: Erfolg um jeden Preis. Wer den nicht erwirtschaftete, war schneller von der Bühne, als er sich versah.
Kilian fand sich an diesem Morgen inmitten einer hektisch aufgeregten Atmosphäre wieder. Alle Solisten und der Chor befanden sich auf der vorderen Seite der Bühne; der hintere Teil, der eigentliche Bühnenaufbau, war mit schwarzen Kulissen verhängt. Jeder der Sänger übte seinen Part. Dabei bewegte man sich anscheinend richtungslos umher, um die aufgestaute Aufregung abzubauen. Von den Sitzreihen aus betrachtet, sah man die Sänger wie auf einer belebten Einkaufsstraße
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