Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall
Abend fit war. Hier gab es vorerst nichts mehr für ihn zu tun.
24
Auf der Strecke zwischen Hotel und Mainfrankentheater liegt das La Venice, ein italienisches Restaurant, das häufig von Theaterleuten besucht wird. Der Vorplatz ist in eine Laube umgewandelt, die eine gepflegte, angenehme Atmosphäre versprüht.
Kilian saß an einem Tisch an der Hauswand. Von hier aus hatte er Raimondi gut im Blick, der mit dem Generalmusikdirektor Stiller bei einem vorgezogenen Abendessen die anstehende Premiere besprach. Ihrer Unterhaltung konnte er gut folgen, sie sprachen ungewöhnlich laut, zumindest Raimondi. Wieder eine Eigenschaft an Raimondi, die Kilian nicht ausstehen konnte. Er meinte offensichtlich, er und sein Gespräch seien von solcher Bedeutung, dass alle daran teilhaben sollten.
Kilian hatte sich mit diversen Antipasti und einem Saltimbocca gestärkt. Ein Schwenker mit Vecchia Romagna wurde ihm soeben serviert. Er zündete ein Zigarillo an, nahm einen tiefen Zug und vergoldete den Geschmack mit einem Schluck des italienischen Brandys.
Auch Raimondi und Stiller hatten den Hauptgang abgeschlossen. Raimondi ließ sich die Karte nochmals zeigen, suchte nach einem geeigneten Abschluss. Zwei Espressi und ein Sorbet trafen seinen Geschmack.
»Haben Sie sich schon entschieden?«, fragte Raimondi.
»Sie meinen, wo ich in der nächsten Saison arbeite?«, antwortete Stiller.
»Ja.«
»Ich kann mich nicht beklagen. Angebote gibt es zur Genüge. Ein sehr interessantes kommt aus Straßburg. Kennen Sie das Haus?«
»Vor Jahren war ich mal dort. Es hat mir sehr gut gefallen. Was für die Stadt spricht, sind die Beziehungen, die Sie dort aufbauen können. Eine weise Entscheidung«, kommentierte Raimondi.
»Danke. Ich hoffe nur, dass sich die Schließung des Mainfrankentheaters noch ein wenig verzögert. Sonst bleibt da womöglich noch etwas an mir hängen.«
»Aber die Zeit hier war doch sehr erfolgreich für Sie.«
»Das schon, aber wer möchte schon die Schließung seiner Wirkungsstätte im Lebenslauf stehen haben.«
Die beiden lachten, stießen miteinander an. »Dann auf eine gute und einmalige Zusammenarbeit«, sagte Stiller.
Von ihnen unbemerkt näherte sich eine Frau von der Straße. Kilian staunte, als er sie erkannte. Genauso erging es Raimondi.
»Ich muss mit dir sprechen«, sagte die Garibaldi zu ihm.
»Worüber?«, antwortete Raimondi.
»Du weißt, worüber ich mit dir sprechen will. Lass mich nicht lange bitten.«
»Nein, im Ernst, ich habe keine Ahnung. Komm, setz dich zu uns, trink und iss. Du bist eingeladen.«
»Ich will mit dir nichts trinken. Ich will Aminta.« Raimondi lachte laut. »Aminta willst du? Da bist du leider zu spät. Sie hat sich bereits für mich entschieden.« Isabella Garibaldi gab nicht auf. Sie bekniete ihn förmlich. »Bitte, Francesco. Es ist sehr wichtig für mich. Ich kann ohne sie nicht nach Zürich zurückkehren. Die nächste Spielzeit steht auf dem Spiel und mit Aminta meine Zukunft. Der Stiftungsrat und die Sponsoren zählen auf mich. Ich kann sie nicht enttäuschen.« Wieder lachte er. »Ich fürchte, du hast nichts in der Hand, womit du mich überzeugen kannst. Aminta und ich werden eine außergewöhnliche Zukunft haben. Ich weiß es, und du weißt es. Trink mit mir darauf. Komm.«
Die Garibaldi schlug ihm die Hand weg, die sie auf den Stuhl neben ihn bat. Sie kam ganz nah an sein Ohr, sprach leise. Kilian suchte ihre Lippen zu lesen.
»Francesco, ich bitte dich, zum letzten Mal. Lass sie gehen, gib sie frei. Du bekommst alles dafür … wenn du willst, auch mich. Es kann so sein wie früher, als wir uns noch liebten. Ich bin bereit dafür, nur komm ein Stück auf mich zu. Bitte.«
Für einen Moment herrschte Stille. Raimondi schien sich das Angebot zu überlegen.
Erst leise, dann immer lauter begann Raimondi zu lachen. »Isabella, Isabella. Bist du schon so tief gesunken, dass du mir deinen verwelkten Körper aufdrängen willst? O nein, beim besten Willen nicht. Verschwinde jetzt, du langweilst mich.«
Die Garibaldi hatte die Aufmerksamkeit des ganzen Lokals auf sich. Die Ober, die Gaste und Kilian starrten sie an. Raimondi nahm einen Schluck Espresso, wartete auf ihre Reaktion.
Sie richtete sich auf, zupfte ihr Kostüm zurecht und strich mit der Hand eine Haarsträhne nach hinten. Sie sammelte all ihre Kräfte und schluckte die Schmach runter. Ein zittriges Lächeln trat in ihr Gesicht.
Ihre Lippen formten ein gehauchtes Du bist tot.
Dann drehte sie sich um
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