Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall
Reihen, im Dunkel des Zuschauerraums, noch jemand saß. Es waren zwei Männer, die sich in die Sitze gelümmelt hatten.
»Michail, du bist der Letzte, der uns Alkohol während der Arbeitszeit vorzuwerfen braucht. Du nicht!«
Ludewig trat schlichtend dazwischen. »Das ist nicht die Frage. Der Kommissar will wissen, wo ihr wart.«
Jeanne, die Inspizientin, antwortete: »Wir waren in der Kantine, Hubert, der Beleuchter, und Stefan an der Drehbühne. Gemeinsam, die ganze Zeit, bis die Pause vorüber war. Da können Sie das Kantinenpersonal fragen.«
»Künstlerpack!«, kam es laut und verächtlich aus dem hinteren Zuschauerraum.
Heinlein ließ sich durch dieses Intermezzo nicht vom Kurs abbringen.
»Wer sind Sie?«, fragte er den Grauhaarigen.
»Michail Lermonow, ich spiele den Komtur.«
»Und die beiden anderen Herren?«
Schüchtern trat der Große einen Schritt vor, nickte beflissen. »Roman Galczynski, der Leporello.«
Auf den Degen gestützt, antwortete der Dritte. Ein hagerer Typ in blauer Stoffhose, weißem Hemd und mit ergrauten Haaren. Man hätte ihn eher hinter einem Bankschalter vermutet als auf einer Bühne. »Vladimir Sinowjew, ich singe
Don Giovanni
.«
»Sie waren alle drei auf Ihren Zimmern, zur fraglichen Zeit?«, hakte Heinlein nach.
Bis auf Vladimir, der die Frage nicht zu verstehen schien, nickten die beiden anderen.
»Haben Sie Zeugen dafür?«, fragte Heinlein.
Zwei schüttelten verneinend den Kopf, der Dritte fragte Michail, den älteren der beiden Russen, worum es ging. Michail antwortete für ihn. »Vladimir war auch auf seinem Zimmer. Er hat die Degenszene geübt, sagt er. Einen Zeugen hat er dafür nicht.«
Heinlein wandte sich den anderen zu. »Wenn wir schon dabei sind, können bitte auch Sie sich jeweils vorstellen und sagen, wo Sie sich während der Pause aufgehalten haben?«
Die mit der Latzhose und dem Rotschopf antwortete als Erste. »Franziska Bartholomä, ich bin die Souffleuse. Ich saß draußen vor dem Theater auf einer Bank und habe Tee getrunken.«
»Alleine?«, fragte Heinlein.
»Ein paar Passanten warteten auf den Bus. Ich weiß nicht, ob die mich wahrgenommen haben.«
»Gut, die Nächste, bitte«, sagte Heinlein und nickte der Frau zu, die sich demonstrativ für die Befragung nicht zu interessieren schien. Doch jetzt, als sie direkt angesprochen wurde, antwortete sie in unerwartet strengem Ton.
»Marianne Endres, Regieassistentin. Ich war die ganze Zeit im Haus. Oben auf dem Gang. Zeugen habe ich dafür nicht.«
»Auf welchem Gang?«, fragte Heinlein.
»Im zweiten Stock.«
»Dort, wo das Büro des Verstorbenen ist?«
»Ja.«
»Was hatten Sie dort zu suchen?«
Sie zögerte, kämpfte um die richtige Antwort. Dann:
»Ich wollte zum Intendanten.«
Alle anderen merkten auf, waren überrascht, blickten sie an.
»Gab es dafür einen Grund?«, fragte Heinlein.
»Ich … wollte mit dem Intendanten sprechen.«
»Worüber?«, fragte Ludewig interessiert, so, als sei er übergangen worden.
»Na, über was wohl?!«, fuhr sie ihn an. »So konnte es nicht weitergehen. Irgendjemand musste doch was unternehmen, bevor es zu spät war. Du hast dich ja nicht getraut, du Feigling.«
Die Sache begann Kilian zu interessieren. »Wofür zu spät?«
»Für den
Don Giovanni
natürlich. In zwei Wochen ist Premiere, und der Don fällt immer noch über seinen Degen und beherrscht seinen Text nicht. Wenn der GMD das erfährt, ist der Teufel los. Wartet’s nur ab.«
»Wer ist der GMD?«, fragte Heinlein.
»Der Generalmusikdirektor«, antwortete der, der bisher ruhig die Arme verschränkt hatte. »Er ist Chef der Inszenierung.«
»Wer sind Sie?«, fragte Heinlein.
»Rainer Pohlmann, zweiter Kapellmeister und Vertreter des GMD.«
»Wo waren Sie in der Pause?«
»In meinem Büro.«
»Was haben Sie dort gemacht?«
»Ich habe telefoniert. Einen Zeugen gibt es auch.«
Na endlich, entfuhr es Heinlein fast. Endlich einer aus diesem Verein, der behauptete, einen Zeugen zu haben.
»Und wer ist das?«, fragte Heinlein.
»Der GMD, Beat Stiller. Ich habe mit ihm über den Fortgang der Probenarbeiten gesprochen.«
Erneut merkten die Umstehenden auf. Es war, als habe er ihnen etwas verschwiegen.
»Wo ist dieser Herr Stiller?«
»Er hält sich zurzeit in Paris zu einem Gastspiel auf. Er will morgen, spätestens übermorgen zurück sein und sich dann auf den
Don Giovanni
konzentrieren.«
Heinlein nahm es zur Kenntnis, kam dann aber nochmal auf die Regieassistentin zurück. »Sie
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