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Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall

Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall

Titel: Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Rausch
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Text steht. Dafür wurde er schließlich ausgebildet.«
    Raimondi zeigte auf sie, ging auf der Bühne an den Solisten vorbei, sah ihr direkt in die Augen. »Hier haben wir also eine Regieassistentin, deren Job es ist, mich, euren Regisseur, bei seiner Arbeit zu unterstützen. Eines Tages wird sie an meiner Stelle stehen. Zumindest hofft sie das. Dennoch fällt ihr nichts anderes ein, als mir zuzuflüstern, dass Roman seinen Part nicht beherrscht, als ob ich keine Augen im Kopf hätte. Ist das eine Einstellung, die wir im Ensemble dulden können?«
    Er ging zum Rand der Bühne. »Nun, Marianne, magst du vielleicht jetzt meine Frage beantworten?«
    Marianne schossen die Tränen in die Augen. Sie stand auf, nahm ihre Tasche und verließ den Orchestergraben Richtung Ausgang.
    Triumph spiegelte sich in Raimondis Augen. Er scheute sich nicht, ein Lächeln zu zeigen.
    Kayleen unterbrach die Stille. »War das nötig? Mussten Sie Marianne vor uns allen bloßstellen?«
    Raimondi nahm erneut Fahrt auf. Wieder ging er an den Solisten vorbei, schaute jedem Einzelnen in die Augen. »Bloßstellen … nennt ihr das hier so? Habe ich sie bloßgestellt, weil ich sie an ihre eigentliche Aufgabe erinnert habe? Seht ihr das auch so?«
    Niemand antwortete.
    »Ich will euch sagen, wie ich es sehe: In zwei Wochen steht der
Don Giovanni
, mit oder ohne eure Hilfe. Wer sich dazu nicht in der Lage fühlt … dort ist die Tür. Bitte, ich zwinge keinen zu bleiben.«
    Niemand rührte sich.
    »Wenn ihr aber mit mir eine Inszenierung auf die Beine stellen wollt, gemeinsam und als Team …«, Raimondi holte Luft, brüllte fast, »dann werdet ihr, verdammt nochmal, das tun, was ich von euch verlange!«
    Raimondi senkte die Stimme, klang beinahe versöhnlich: »Wenn das nun ein für alle Mal geklärt ist, möchte ich jetzt eine erste Szene von euch sehen, die es wert ist, dass ich meine Zeit dafür opfere.«
    Wortlos gingen die Sänger auf ihre Ausgangsposition. Raimondi nahm Leporello zur Seite, sprach mit ihm, zeigte ihm, wie er spielen sollte. Leporello nickte, versprach, dass er es nun genau so machen wolle, wie Raimondi verlangte.
    Ohne ein Wort gab Raimondi das Zeichen, damit die Szene beginnen konnte. In die Stille platzte ein Rascheln aus dem Zuschauerraum. Irgendjemand aß etwas. Raimondi drehte sich um, langsam, das Ziel suchend. Zwei Worte genügten, leise gesprochen, drohend: »Raus … sofort!«
    Jemand stahl sich im Dunkeln davon, die Tür ging auf, schloss sich wieder.
    Raimondi vergewisserte sich, ob nun alle bereit waren. Dann: »Bitte!«
    Das Klavier begann, tastete sich behutsam zum Einsatz Leporellos vor. Aus dem Dunkel steckte er seinen Kopf heraus, vorsichtig, sich vergewissernd, dass er alleine war, bis er mutig den ersten Schritt wagte und seine Klage anstimmte.
    Raimondi sprang auf die Bühne, winkte der Pianistin zu weiterzuspielen, forderte dasselbe von Leporello, stellte sich neben ihn, begleitete ihn auf seinem Auf und Ab am Fuße der Treppe, führte ihm den Arm beim Voglio far il gentiluomo, als wolle er aller Welt beweisen, dass er von nun an der Herr sein würde, schob Leporello vor an den Bühnenrand, hob sein Kinn, damit er in die Reihen sang, Kontakt zu den Zuschauern aufnahm, nicht zu hoch, die Galerie blieb ausgespart, bis er am Ende seiner Arie angekommen war.
    Raimondi klopfte ihm anerkennend auf die Schulter, führte ihn eilig zurück unter die Treppe, sodass er ungesehen von dort den Auftritt
Don Giovanni
s und Donna Annas verfolgen konnte.
    Das Piano folgte unterdessen dem Diktat der Noten, bäumte sich auf, zerhackte den Fluss der Klänge, bereitete Donna Anna den Raum für ihre Anklage.
    Von der Treppe herab stürmte
Don Giovanni
, das Gesicht hinter dem Umhang verborgen, auf seinen Fersen Donna Anna. Voller Grimm schmetterte sie ihm ihr
Non sperar, se non m’uccidi, ch’io ti lasci fuggir mai
4 entgegen.
    Einsatz
Don Giovanni
. »Donna folle …«
    Er verstummte, suchte den Text unter dem Mantel. Die Souffleuse rief ihm zu: »
… indarno gridi …«
Raimondi griff sofort ein. »Aus!«
    Er ging auf Vladimir zu, schob sacht dessen Arm und Umhang zur Seite, entdeckte den Klavierauszug. Er nahm ihn Vladimir aus der Hand und forderte ihn mit einem Fingerzeig auf, ihm zu folgen. Am Bühnenrand postierte er ihn, gab Sue die Anweisung, ab Einsatz
Don Giovanni
zu spielen, und wartete, Vladimir den Rücken zugewandt.
    Vladimir begann:
»Donna folle indarno … gridi …«
Die Souffleuse setzte an, ein Blick

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