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Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall

Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall

Titel: Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Rausch
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kurz vor dem Anschlag vor meinen Augen brüskiert.«
    »Was hatte sie für einen Grund?«
    »Keine Ahnung. Ich frage ihn am besten gleich.« Kilian erhob sich, ging durch die Verbindungstür und fand Raimondi am Fenster stehend vor. Über seiner Schulter hing ein Duschhandtuch, ansonsten war er nur mit einer Boxershorts bekleidet. Sein Körper war gebräunt, muskulös, gepflegt. Er blickte nach unten, während er telefonierte. Kilian klopfte an die Tür, um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Raimondi schaute auf, gab ihm ein Zeichen, dass das Gespräch gleich beendet sei.
    Kilian ging zu Heinlein zurück. Er war soeben im Begriff, sich auf den Weg zu machen. »Dann treffen wir uns in der Mittagspause in der Kantine des Theaters«, sagte Heinlein kühl.
    Kilian nickte, und Heinlein ging.
    Er schaltete den Fernseher ein, zappte durch die Programme. Im Frühstücksfernsehen lief die Berichterstattung über den Tod zweier Menschen, die in den letzten Tagen im Mainfrankentheater ihr Leben gelassen hatten. War es ein bedauerlicher Zufall oder ging etwas Seltsames, Mörderisches an diesem Haus in der Provinz vor, fragten die Moderatoren die Reporter. Eine gute Frage. Auch Kilian fand keine zufrieden stellende Antwort darauf.
    Raimondi trat hinter ihn. »Der Tod hat noch immer seine Anziehungskraft nicht verloren.«
    »Es scheint, als kämen Ihnen die beiden Vorfälle nicht ungelegen?«
    Er stutzte. »Wie meinen Sie das?«
    »Noch vor zwei Tagen war der
Don Giovanni
eine lokale Angelegenheit, für die sich vielleicht ein paar Opernenthusiasten interessierten. Doch jetzt berichten Zeitungen und Fernsehanstalten landesweit darüber. Das nenne ich publikumswirksame Öffentlichkeitsarbeit.«
    »Sie kennen das Sprichwort vom geschenkten Gaul?« Kilian nickte, er war sich unsicher, inwieweit die Publicity für den
Don Giovanni
geschenkt war. Raimondis Kaltschnäuzigkeit beeindruckte ihn, so wie ihn auch Reichenberg, der Intendant, mit seiner emotionalen Distanz zum Tod Sandners und seinem Ersatz überrascht hatte.
    »Was ich Sie fragen wollte«, setzte Kilian an, »woher kennen Sie Isabella Garibaldi?«
    Raimondi lächelte, nahm das Handtuch von der Schulter, rubbelte die Haare trocken. Während er sprach, ging er zurück in sein Zimmer, sodass Kilian ihm folgen musste.
    »Isabella und ich sind alte Freunde …«
    »Danach sah es gestern aber nicht aus.«
    »Sie kann nicht vergessen.« Seine Stimme klang nicht mitleidig, Hohn und Spott klangen durch. »Isabella und ich lernten uns in den frühen Achtzigern kennen. Sie war Regisseurin an einem Landestheater, ich auf dem besten Weg, eine internationale Karriere zu beginnen. Wir probten den
Don Giovanni
. Die Arbeit mit ihr verlief nicht so, wie ich es mir gewünscht hatte. Sie bevorzugte eine Interpretation des Dons, die sich an die Figur des Giacomo Casanova anlehnte. Nun, das war und ist natürlich absoluter Unsinn. Der
Don Giovanni
hat mit einem Casanova so viel gemein wie Maria Magdalena mit einer Feierabendhure …«
    Er stockte, Kilian hakte nach. »Erklären Sie mir bitte den Unterschied …«
    Raimondi kam seinem Wunsch nach, schenkte ein Glas Orangensaft ein, trank und zog sich an.
    »Es geht um den so genannten Ich-Beweis. Casanova definiert sich über das Spiel, das er mit den Frauen und sie mit ihm treiben. Es besteht eine unausgesprochene Übereinkunft zwischen Casanova und den Frauen. Beide amüsieren und trennen sich, ohne einander eine Träne nachzuweinen.
    Don Giovanni
hingegen trägt eine unstillbare Sehnsucht in sich. Er sucht immer und findet nie. Seine Tragik macht ihn für Frauen begehrenswert, selbst bis ins Alter hinein. Da würde ein Casanova schon längst lächerlich wirken. Doch der
Don Giovanni
sucht nach seiner Identität. Er findet sie nur in der Verführung, kurzfristig, um gleich zur Nächsten weiterzugehen. In ihr findet er erneut nur kurz den vitalen Beweis, dass er lebendig ist.
    Er sucht nach seinem Ich, dessen er sich im Grunde nicht bewusst ist. Er ist gelebte, unstillbare Sehnsucht. Und das macht ihn bis heute attraktiv, begehrenswert für Mann und Frau.
    Wir alle spüren diese Sehnsucht in uns. Der eine mehr, die andere weniger. Doch sie ist da; selbst in den glücklichsten Momenten, die nie andauern können, ist sie da, hockt in unseren Seelen und Herzen, drängt auf Befriedigung, die wieder nur von kurzer Dauer sein kann, um erneut hervorzubrechen.
Don Giovanni
ist das bedingungsund hemmungslose Bekenntnis zum eigenen, triebhaften Ich … bis

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