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Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall

Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall

Titel: Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Rausch
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in den Tod, den er wählt, um sich selbst treu zu bleiben. Der Tod kann den Don nicht schrecken, weiß er doch, dass er und unsere Sehnsüchte auf ewig in unseren Herzen lebendig sein werden. Ein Mensch, der sich nicht sehnt, lebt nicht. Er ist ein hohler Körper, dessen Seele gestorben ist.
    Nun, Herr Kilian, wie ist Ihre Meinung dazu?«
    Das war starker Tobak am frühen Morgen. Ja, über Sehnsucht konnte er ihm viel erzählen. Auch in seiner Brust tobte ein Sturm des Verlangens nach dem Süden, nach Leichtigkeit und reuelosem Tun. Doch es gab Grenzen, die er sich selbst und die ihm andere setzten. Er konnte nicht über alles hinweggehen, hätte es dann auch jedem anderen zugestehen müssen, wäre somit selbst Teil des Chaos geworden. Dennoch spürte er die Kraft seiner Wünsche, die ihn immer wieder an den Rand des Nachgebens, des Handelns, der Erfüllung führten. Er war, wie viele andere auch, ein Gefangener im eigenen Haus. Der
Don Giovanni
hingegen ging ein und aus, wie es ihm gerade passte. Beneidenswert.
    »Ich glaube, ich verstehe, was Sie meinen«, antwortete Kilian. »Wie kam es dann zum Zerwürfnis zwischen Ihnen und Frau Garibaldi?«
    »Ich verließ die Produktion.«
    »Mehr nicht?«, fragte Kilian.
    »Nun, die Premiere war tags darauf.«
    »Und wie reagierte die Garibaldi?«
    »Die Premiere wurde abgesagt, und Isabella verlor ihr Engagement.«
    »Gab es keinen Ersatz für Sie, eine Zweitbesetzung oder einen anderen Künstler, der einspringen konnte?«
    »Theoretisch schon, doch die Inszenierung mit den anderen Solisten war derart auf mich zugeschnitten, dass das nicht mehr auf die Schnelle zu bewerkstelligen war.«
    Nun hatte Kilian ein Motiv. Raimondi hatte sie einen Tag vor der Premiere im Stich gelassen, sie verlor ihr Gesicht, den Job und wahrscheinlich auch ihren Ruf als verlässliche Regisseurin, die die Produktion und die Solisten im Griff hatte.
    *
    Heinlein sah die beiden mit dem Fahrrad kommen. Sie stiegen ab und schlossen die Räder mit dem Fahrradhalter und einer Kette an. Sue, die Pianistin, und Marianne, die Regieassistentin, sprachen kurz miteinander. Bevor sie im Bühneneingang verschwanden, umarmten sie sich, ein Kuss besiegelte ihre Verbundenheit.
    Sollten die beiden ein Verhältnis haben?, fragte er sich. Und wenn schon, man war ja nicht mehr im neunzehnten Jahrhundert. Dennoch, jenseits aller Moral war diese Erkenntnis aufschlussreich, wenn es darum ging, dass Sue der Endres ein Alibi gegeben hatte. Sie hatte behauptet, dass Marianne Endres vor ihrem Zimmer auf und ab gegangen war, während sie darauf gewartet hatte, dass Sandner das Büro von Reichenberg verlassen würde.
    Heinlein fackelte nicht lange und machte sich auf den Weg.
    Im zweiten Stockwerk angekommen, fand er ihr Zimmer, gleich hinter der Abzweigung zur Intendanz. Vor einem großen Konzertflügel stehend, entnahm Sue ihrer Tasche ein Bündel Notenblätter und platzierte sie auf dem Notenhalter.
    »Was dagegen, wenn ich störe?«, fragte Heinlein.
    Sue Ryser drehte sich um. »Oh, Sie sind es. Nein, kein Problem. Ich habe den ersten Termin erst in zehn Minuten.«
    Heinlein kam näher und bestaunte den riesigen Flügel in dem ansonsten kahlen Raum. »Ein schönes Instrument«, sagte er. Seine Hand fuhr streichelnd an der schwarz lackierten Oberfläche entlang.
    »Spielen Sie auch?«, fragte Sue.
    »Nein, aber ich würde gerne.«
    »Dann kommen Sie, lassen Sie uns etwas probieren.«
    »Wie? Jetzt?«
    »Ja, wieso nicht. Jetzt ist genauso gut wie jeder andere Zeitpunkt.«
    Zögernd kam Heinlein näher. Sue setzte sich auf die eine Ecke des Schemels und klopfte mit der Hand auf die andere, damit Heinlein sich setzte.
    »Probieren wir etwas«, sagte sie. Dann spielte sie mit der einen Hand eine Melodie, mit der anderen die Begleitung. Es waren zwei Tasten, gleichzeitig gedrückt, die Heinlein anwiesen, den Part zu übernehmen. Sie nahm seine Hand, wählte zwei Finger aus. Nun sollte er die Begleitung spielen. Er tat es.
    »Sehen Sie, ist doch ganz einfach«, sagte sie.
    Heinlein gefiel das simple Stück, das ihn an die Ritsch-Ratsch-Polka erinnerte. Vielleicht war sie es auch.
    Wie ein erwachsener Junge saß er nun neben seiner Klavierlehrerin und probte sein erstes Stück. Dann roch er etwas. Es war kein Duft im Raum, sondern er kam von Sue, die dicht neben ihm saß. Der Geruch hatte etwas Schweres, Hölzernes. Da dämmerte es ihm, weshalb er gekommen war, er brach ab und stellte sich neben den Flügel.
    »Hat es Ihnen nicht

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