Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall
gefallen?«, fragte Sue.
»Doch, doch, aber ich bin aus einem anderen Grund hier.«
»Dann lassen Sie mal hören. Worum geht’s?« Heinlein wollte nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen, deshalb begann er vorsichtig. »Sie sind als Pianistin am Mainfrankentheater angestellt?«
»Der korrekte Ausdruck ist Repetitorin, und ich bin nicht angestellt, sondern für eine Spielzeit engagiert.«
»Was macht man so als Repetitorin?«
»Ich übe mit den Sängern ihre Partien ein, damit sie ihren Part auf der Bühne auch beherrschen.«
»Gefällt Ihnen die Arbeit?«
»Und wie. Es gibt nichts Schöneres. Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht. Was will man mehr?«
»Ich stelle mir das ganz schön stressig vor«, sagte Heinlein. Er erinnerte sich an die Zeit als kleiner Junge, als er erfolglos an der Trompete übte, um beim Schulorchester mitzuspielen.
Sue schmunzelte. »Hin und wieder gibt es einen, der nervt, der glaubt, dass er das Stück umkomponieren müsste, damit er imstande ist, den Part zu singen. Ich hole sie dann aber ganz schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.«
Heinlein spähte verstohlen in Sues Tasche, die gegen den Flügel gelehnt war. Er erkannte neben einem Handy ein Flugblatt. Darauf war der Termin des Christopher Street Day in Würzburg abgedruckt. Also doch, schloss Heinlein daraus, Sue fühlte sich zum eigenen Geschlecht hingezogen. Doch da war noch etwas anderes, etwas Eckiges, in Alufolie eingewickelt.
»Sie haben bei unserem ersten Gespräch ausgesagt, dass Marianne Endres die ganze Zeit vor dem Büro des Intendanten auf und ab gegangen sei, kurz bevor Sandner gestorben ist.«
Sues gute Laune verflog schlagartig. Sie bestätigte die Frage stumm mit einem Nicken.
Heinlein fuhr fort, zeigte auf die Tür. »Aber wenn ich mir das so ansehe, dann können Sie doch gar nicht von hier aus auf den Gang vor Reichenbergs Büro blicken. Es liegt hinter dem Knick. Was macht Sie so sicher, dass Sie tatsächlich Marianne Endres gesehen haben und nicht jemand anderen?«
Sue begann leicht zu zittern. Kaum merklich, aber Heinlein entging es nicht.
»Ich habe sie doch gesehen, als sie vorbeiging«, antwortete Sue schließlich, »und außerdem war sie kurz hier im Zimmer.«
»Was war der Grund ihres Besuches?«
»Nichts Bestimmtes, einfach so.«
Heinlein dachte kurz nach, er hielt den Moment für gekommen, um zuzuschlagen. »Ist es nicht eher so, dass Sie Ihrer Freundin Marianne ein Alibi geben, obwohl sie gar keines hat?«
Sue starrte ihn an, ihre Stimme wurde bedrohlich.
»Haben Sie ein Problem mit uns?«
»Sie meinen, mit Lesben?«
»Ja.«
»Nein, aber mit Lügnerinnen.«
»Was fällt Ihnen ein?!«
»Ich will Ihnen überhaupt nicht zu nahe treten, jeder nach seiner Fasson. Aber lügen Sie mich nicht länger an. Und weil wir schon mal dabei sind, wer kann bezeugen, dass Sie die ganze Zeit hier in diesem Raum waren?«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Von hier aus sind es vielleicht zwanzig Meter zum Büro von Fred Sandner. Ohne von jemandem gesehen zu werden, wäre es ein Einfaches, nach der Tat schnell in Ihr Büro zurückzugehen und die Ahnungslose zu spielen.«
Sue stand abrupt auf, ging auf die andere Seite des Flügels. »Sie bezichtigen mich des Mordes an Freddie? So ein Unsinn. Ich denke, es war Selbstmord.«
»Das ist noch nicht abschließend geklärt.«
»Was sollte ich für ein Motiv gehabt haben?«
»Eifersucht, Neid, Gier, was weiß ich. Sagen Sie es mir.«
»Herr Heinlein«, begann Sue, ihre Selbstsicherheit kehrte bei diesen fadenscheinigen Anschuldigungen schnell zurück, »ich hatte nicht das geringste Motiv, Freddie etwas anzutun. Und Eifersucht«, sie lachte grell auf, »die können Sie sich gleich abschminken.«
Heinlein bückte sich, nahm das in Alufolie eingepackte Pausenbrot heraus. »Ich tippe auf Roggen, Vollkorn, mit Salat. Habe ich Recht?«
»Tomaten und Käse, wenn’s recht ist, auf Roggenvollkorn. Das ist gesund.«
»Und Ihr Parfüm?«
»Wie? Was geht Sie das an?«
»Es ist wichtig. Bitte sagen Sie mir, welches Parfüm Sie tragen.«
»Ich benutze meine eigene Kreation.«
»Die besteht aus …?«
»Ylang-Ylang, Rosenöl, Patchouli und etwas Sandelholz.«
»Das ist ein ziemlich schwerer Geruch, nicht wahr?« Heinlein hatte genug gehört. Er hatte herausbekommen, was er wollte. Das Alibi der Endres war geplatzt, und eine neue Tatverdächtige war hinzugekommen. Zumindest hatte sie die Gelegenheit, wenn auch kein Motiv, aus jetziger Sicht.
Als
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