Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall
nickte.
»Du weißt also, dass du deinen Gästen Köstlichkeiten anbietest?«
Wieder nickte Takahashi.
»Wieso stehst du dann da wie ein Verkehrspolizist?« Takahashi verstand nicht.
Raimondi nahm Takahashi zur Seite und gab Sue ein Zeichen, noch einmal zu beginnen.
Der Maestro machte sich nun selbst ans Werk. Nach der kurzen Einleitung am Klavier bewegte sich Raimondi mit der Selbstsicherheit und Gewandtheit eines Aristokraten unter den Gästen, stimmte sein Riposate an und forderte die Dienerschaft auf, die kulinarischen Köstlichkeiten zu präsentieren. Er ging von Teller zu Teller, probierte hier ein Stück, ein anderes reichte er weiter, fragte nach dem Urteil des Gastes.
»Das sollte fürs Erste genügen«, sagte Raimondi und deutete auf seinen neuen
Don Giovanni
. »Und nun du.« Takahashi ging in Position und versuchte umzusetzen, was er gelernt hatte. Es gelang ihm erstaunlich gut. Franziska kehrte mit den Masken zurück. Sie schienen aus den venezianischen Karneval zu stammen und hatten einen Stiel, mit dem sie vor das Gesicht gehalten wurden. Franziska verteilte sie und nahm dann am Tisch Raimondis Platz.
Weit hinter Kilian öffnete sich die Tür. Jemand kam herein und setzte sich von den anderen unbemerkt in eine der dunklen Reihen. Es war ein Mann, den Kilian aber nicht genau erkennen konnte. Batricio war es nicht; der hatte eine andere Statur.
Das Geschehen auf der Bühne erreichte einen stimmgewaltigen Höhepunkt.
Don Giovanni
und Leporello auf der einen und Donna Elvira, Anna, Don Ottavio, Zerlina und Masetto auf der anderen Seite trieben ihr Gesangsduell gemeinsam zum Höhepunkt. Raimondi schritt währenddessen unter den Darstellern umher, korrigierte dort Haltung und förderte da Ausdruck, wo er es für nötig hielt. Am Ende des Akts zeigte er sich zufrieden mit der Leistung. Stimmlich hatte er nichts auszusetzen, das Spiel jedoch, die Kunst der Darstellung, wie er es nannte, müsse besser werden.
»Die Authentizität eures Spiels, wie die des Gesangs, kann nur aus eurem tiefsten Inneren kommen«, beschwor er sie. »Wenn ihr die Figuren lebt, ihre Wünsche, Ängste und Ziele die euren sind, ihr in euren Rollen aufgeht, kann gar nichts schief gehen.«
Aus den dunklen Zuschauerreihen erhob sich eine Männerstimme:
»Nun, ich denke, dass auch noch einiges an der gesanglichen Darstellung verbessert werden muss. So, wie es jetzt ist, kann ich als Leiter des musikalischen Betriebes nicht meine Zustimmung geben.«
Die Stimmung gefror, als der Generalmusikdirektor Beat Stiller in den Orchestergraben stieg. Kilian meinte, Angst im Raum zu spüren.
Kilian erkannte Stiller, er hatte dessen Gesicht in der Theaterzeitschrift gesehen, wo darüber spekuliert wurde, wo er sein nächstes Engagement antreten würde. Seine Gastdirigate unter anderem in Paris und Mailand wurden hervorgehoben, und es wurde bedauert, dass er keine weitere Spielzeit am Mainfrankentheater gehalten werden konnte. Er hatte das Orchester neu geformt und zu erstaunlichen Leistungen geführt. Jetzt schien es Zeit für ihn weiterzuziehen. Aber noch war er hier und für die Produktion musikalisch verantwortlich, wenngleich er sie nicht selbst dirigieren würde. Dies sollte sein zweiter Kapellmeister Pohlmann übernehmen.
Stiller war nur für ein paar Tage in Würzburg. Zur Premiere des
Don Giovanni
allerdings würde er ein Gast-Dirigat in Straßburg halten. Das war ein Zeichen dafür, welchen Stellenwert die Produktion des
Don Giovanni
am Hause hatte. Was der GMD nicht selbst dirigierte, konnte nicht so wichtig sein. Doch das hatte gegolten, bevor Raimondi die Produktion übernommen hatte.
Raimondi ging an den Bühnenrand, selbstsicher, ein freundliches Lächeln auf den Lippen. »Ich nehme an, Sie sind Beat Stiller, der GMD?«
»So ist es«, bestätigte der.
»Es freut mich, dass Sie die Zeit gefunden haben, uns bei der Produktion zu unterstützen.«
Stiller wusste nicht so recht, wie er das verstehen sollte. War es ironisch gemeint? Er beschloss, sich nicht aus der Reserve locken zu lassen. »Das ist das Mindeste, was ich tun kann. Und wie ich in allen Zeitungen lesen konnte, sind Sie für den verstorbenen Herrn Sandner eingesprungen.«
»Es ist mir eine Freude, dem Haus, in dem ich meine Karriere begonnen habe, aus einer Verlegenheit zu helfen.«
»Das ehrt Sie, gewiss, und der Produktion verhilft es zu einer unerwarteten Aufwertung. Wir sind stolz, Sie in Würzburg begrüßen zu dürfen.«
Raimondi hielt kurz inne. Jetzt
Weitere Kostenlose Bücher