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Der Gesang der Maori

Der Gesang der Maori

Titel: Der Gesang der Maori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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jedes Mal in Todesangst zu verfallen. Für die regelmäßigen Fahrten
nach Kaikoura hatte er sich vor ein paar Wochen ein altes, gebrauchtes Auto
gekauft. »Dann bin ich nicht von den Fahrplänen abhängig, wenn ich plötzlich
Vater werde und so schnell wie möglich zu dir muss!«, hatte er erklärt. Mit
einem Lächeln hatte Paikea es dabei belassen. Wenn er ihr nicht verraten
wollte, aus welchem Grund ihm Züge unheimlich waren, dann wollte sie ihn nicht
zu einer Erklärung zwingen. Und das Auto war tatsächlich ziemlich praktisch.
    Zärtlich nahm John sie in die Arme, küsste sie auf den Mund und
streichelte kurz über ihren Bauch. »Na, wie geht es meinen beiden?«
    Â»Baby geht es gut, Mama hat keine Lust mehr auf den dicken Bauch und
das Sodbrennen. Aber sonst ist alles prima!«, gab sie Auskunft. Hand in Hand
liefen sie zu dem blauen Ford, der am Straßenrand auf sie wartete. Sie warf
einen Blick auf John. Der Erfolg tat ihm gut – seine Haare waren kurz
geschnitten, die schiefe Nase erzählte von seiner Vergangenheit, die
muskelbepackten Oberarme wurden auch von dem hellblauen Hemd nicht versteckt.
Er wirkte zufrieden mit sich und der Welt.
    Â»Ich habe schon einen Tisch in unserem Restaurant bestellt!«,
verkündete er. »Du hast doch sicher Hunger, mein Schatz.«
    Â»Sicher, ich habe immer Hunger – aber ich würde doch zu gerne noch
einmal bei Fiona’s Foodmarket vorbeigehen!« Sie lachte. »Das hier ist vor der Geburt
meine letzte Chance, noch einmal all diese Hausfrauen mit ihren gierigen
Gesichtern zu sehen, wie sie Angst haben, dass die Regale wieder einmal leer
sind, bevor sie alles gekauft haben, was sie brauchen … Wenn unser Baby erst
einmal da ist, werde ich wohl eine ganze Zeit lang Kaikoura nicht verlassen
können. Meine Mutter wird jedenfalls kaum den Pakeha-Bastard hüten, damit ich
mal einen Tag nach Christchurch kommen kann.«
    Â»Deine Mutter ist eine uneinsichtige Hexe!«, knurrte John, während
er wendete und in Richtung seines Supermarktes fuhr. »Hin und wieder wünsche
ich ihr einfach die Pest an den Hals. Was kann ein unschuldiges Baby für die
Verbrechen der Weißen?«, fragte er.
    Â»Böse Gene, mein Schatz … unser Kind kann gar nicht anders, als ein
fieser Ausbeuter zu werden. Reg dich nicht auf«, Paikea legte ihre Hand auf seinen
Oberschenkel, »ich denke, sie wird sich in unser Baby verlieben, in der
Sekunde, in der sie es das erste Mal sieht …«
    Schwungvoll bog John auf den Parkplatz vor dem Supermarkt ein. Es
waren nur wenige Plätze frei, offensichtlich war der Markt immer noch gut besucht.
Er parkte seinen Wagen an einem Zaun, öffnete ihr die Tür und ging mit ihr Hand
in Hand in Richtung des Marktes. »Ich muss dir unbedingt etwas zeigen«, teilte
er ihr mit. »Wir haben da eine neue Abteilung, in der wir …«
    In diesem Augenblick kam eine stark geschminkte Blondine auf ihn
zugeschossen. Ganz offensichtlich lagen ihre besseren Zeiten hinter ihr, obwohl
sie noch keine dreißig Jahre alt war. Der schmale Ledergürtel um ihre Taille
stammte aus deutlich schlankeren Zeiten, er drückte sich tief in ihre
Speckröllchen. Paikea runzelte die Stirn. Die fahrigen Bewegungen waren ihr
viel zu vertraut. So sah ihr Vater aus, wenn er zu viel Alkohol getrunken
hatte. Die Frau wollte von ihr allerdings nichts wissen. Stattdessen fiel sie
John um den Hals und küsste ihn. Ein bisschen zu heftig für Paikeas Geschmack.
Und wer war diese Frau, die so gar nicht zu John passte?
    Â»Was für ein Zufall, dass ich dich hier treffe!«, rief sie. Eine
Spur zu laut und eine Spur zu theatralisch. »Vor einem Supermarkt, das hätte
ich ja nie geglaubt! In Christchurch!«
    Erst jetzt bemerkte Paikea, dass der Mann an ihrer Seite
leichenblass geworden war. Er sah die geschmacklose Frau so fassungslos an, als
sei sie von den Toten auferstanden. »Ich glaube nicht, dass wir uns kennen …«,
sagte er zögernd.
    Â»Rede doch keinen Blödsinn! Ich bin’s, Maureen!«, trompetete sie
quer über den Parkplatz. »Wir kennen uns aus Auckland! Aus der Milkbar!
Erinnerst du dich nicht?«
    Â»Milkbar? So eine Lokalität ist mir nicht bekannt«, versuchte John
auszuweichen. Paikea sah ihn mit wachsendem Misstrauen an. Es gab gar keinen
Zweifel, dass er diese Frau kannte, dafür war sie viel zu vertraut mit

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