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Der Gesang der Maori

Der Gesang der Maori

Titel: Der Gesang der Maori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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nackt. Abschaum. Das warst wirklich du? So hast du
mich das erste Mal gesehen und es mir nie erzählt? Dann bist du wohl immer noch
Abschaum. Von meinem Mann will ich Ehrlichkeit, egal, um was es geht. Bei dir
liege ich mit dieser Forderung wohl falsch! Du hättest mir von deiner Vergangenheit
erzählen sollen. Das hättest du tun müssen!«
    Sie standen sich einen Augenblick lang reglos auf dem Parkplatz
gegenüber. Einer der Angestellten entdeckte John und rannte winkend auf sie zu.
»Chef, wir haben heute eine Lieferung von frischem Brot aus der französischen
Bäckerei in Akaroa …« Er sah das Gesicht seines Chefs und brach mitten im Satz
ab. »Ich störe wohl«, sagte er unsicher. »Ich komme dann später damit zu Ihnen.
Oder morgen. Ist auch nicht so wichtig …« Er wollte sich schon umdrehen.
    Â»Bleiben Sie doch«, erklärte Paikea mit fester Stimme. »Ich wollte
ohnehin einen Augenblick für mich allein sein. Wenn mich jemand zurück zum Bahnhof
fährt, dann erreiche ich noch den Spätzug nach Kaikoura. Wäre das wohl
möglich?«
    Â»Aber, du kannst doch nicht …« John schüttelte den Kopf. Er wollte
nicht vor seinem Angestellten mit Paikea streiten. Und er kannte sie gut genug.
Nichts und niemand konnte sie jetzt umstimmen. Sie wollte zurück nach Hause –
und da würde sie heute Abend auch sein. Er seufzte.
    Â»Geh hinein und frag Murray, ob er Zeit hat, meine Frau zum Bahnhof
zu fahren«, trug er seinem Angestellten auf. »Wir können dann in aller Ruhe die
Lieferung aus Akaroa besprechen.«
    Paikea wartete schweigend, bis ein dicklicher Mann mit einem
hellblonden Haarkranz aus dem Supermarkt kam und sie mit einem Winken in sein
grünes Auto einlud: »Ich fahre Sie eben zum Bahnhof, Madam.« Paikea wollte
nichts mehr sagen. Sie kletterte in den Wagen, ließ sich schwerfällig auf den
Rücksitz fallen und bemühte sich dabei, nicht in Tränen auszubrechen. Ihr
geliebter John war also einer dieser aufgeblasenen Wichtigtuer mit spitzen
Schuhen und Brillantine in den Haaren gewesen … Sie legte eine Hand auf ihren
runden Bauch. Ob der Kleine wohl viel von seinem Vater haben würde?

KAIKOURA, 1998

    19.
    Gesang, von weit her. Die
Melodie erinnerte sie an die Wellen des Meeres und ein Tier, das mit unendlicher
Leichtigkeit und Kraft durch die blauen Weiten pflügte. Mal wurde sie lauter,
mal leiser – aber sie drängte sich beharrlich in Katharinas Bewusstsein.
Irgendwann öffnete sie die Augen – und sah direkt in die lachenden Augen von
Matiu. »Ich dachte schon, ich würde dich nie wieder wach kriegen!«
    Sie lag in seinen Armen, fest
umfangen von viel Liebe. Matiu streichelte über den weichen Schwung ihrer
Hüfte. Durch das offene Fenster konnte man das Meer und das Gelächter von
Menschen am Strand hören. Sie war nackt – und erinnerte sich noch viel zu
lebhaft an die letzte Nacht, als Matiu leise in ihr Zimmer gehuscht war und
angefangen hatte, sie zu küssen. Immer, wenn ihr ein etwas lauteres Stöhnen
entfahren war, hatte er ihr den Finger auf den Mund gelegt. »Schhhh – meine
Mutter darf nichts hören!« So hatten sie sich schweigend und lautlos geliebt –
wenn man von dem gelegentlichen Knarren des alten Holzbetts in dem Gästezimmer
einmal absah. Sie lächelte und küsste ihn auf den Mundwinkel.
    Â»Und wie willst du jetzt wieder zurück in dein Zimmer kommen, ohne
dass deine Mutter merkt, dass ihr jüngstes Kind inzwischen ziemlich erwachsen
ist?«, neckte sie ihn.
    Â»Meine Mutter wusste von der ersten Sekunde an, wie es um uns
steht«, erklärte er ernst, ohne mit dem Streicheln auch nur eine Sekunde aufzuhören.
»Sie ist nicht von gestern. Und hat ein gutes Gespür für die Menschen, die sie
um sich hat.«
    Â»Das heißt, wir können jetzt einfach Hand in Hand aus diesem Zimmer
spazieren, und keiner sieht uns merkwürdig an?« Katharina wusste, dass ihre
eigenen Eltern mit irgendwelchen Freunden, die über Nacht geblieben waren,
wenig lässig umgegangen waren.
    Â»Na, wenn du etwas anziehen würdest, könnte es den Umgang mit meinen
Schwestern erleichtern«, meinte Matiu trocken.
    Kichernd knuffte Katharina ihn in die Seite. »Idiot. Da wäre ich
womöglich von selbst draufgekommen.« Sie setzte sich auf und spähte aus dem
Fenster. Ein weiterer wunderschöner

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