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Der Gesang der Maori

Der Gesang der Maori

Titel: Der Gesang der Maori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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seine Tochter auf
den Arm und streichelte ihr über die Wange. »Mein Sonnenschein, du bist aber
dünn geworden in den letzten Wochen. Gar kein richtiges Baby mehr!« Er küsste
sie noch einmal. »Bald bist du ein großes Mädchen!«
    Für einen Augenblick kam sich Katharina wie ein Eindringling oder
der Augenzeuge einer verbotenen Szene vor. »Wie lange warst du denn jetzt nicht
zu Hause?«, fragte sie mit möglichst unbefangener Stimme.
    Â»Zehn Wochen«, sagten Sina und Brandon wie aus einem Mund. Und Sina
fügte noch hinzu: »Und es fühlt sich doppelt so lange an. Als Brandon in See
gestochen ist, konnte Ava noch nicht laufen!«
    Brandon nickte. »Mieser Job für eine junge Familie …«
    Â»â€¦Â aber ich habe ja gewusst, worauf ich mich einlasse, als ich Ja
sagte.« Sina lachte. »Dafür hat er jetzt fünf Wochen Heimaturlaub, das ist
einfach ein Traum. Und ich habe sogar vierzehn Tage frei in der Klinik. Wir
wollen an die Westküste, mal ein paar Tage ausspannen und Hakopa besuchen. Und
Ava tun Ferien mit Mama und Papa bestimmt auch gut; sie kam mir in letzter Zeit
manchmal so arg blass und durchsichtig vor.«
    Â»Schade, dass ich nicht mit euch kommen kann«, sagte Katharina
bedauernd. »Aber in zwei oder drei Tagen muss ich los und nachsehen, wie dieses
Hobbingen im Moment aussieht.«
    Alle lachten. Brandon ging zu dem Grill, der in der Ecke stand, und
schüttete mit einer geübten Bewegung Holzkohle hinein. »Aber heute wollen wir
erst einmal feiern, dass wir uns wiedergetroffen haben!«
    Es war fast Mitternacht, als sie endlich ins Bett gingen. Mit
Lammsteaks, Würsten, Süßkartoffeln und Salat hatten sie den ganzen Abend
geschlemmt. Immer wieder erzählte Sina noch eine Geschichte aus dem
Krankenhaus, oder Brandon versuchte, den Ärger mit seinen philippinischen
Matrosen möglichst anschaulich zu erklären. Als Katharina endlich ins Bett
fiel, war sie sich einer Sache absolut sicher: Sie kannte eine perfekt glückliche
Familie. Und sollte sie irgendwann einmal einen so wunderbaren Mann wie Brandon
treffen, dann würde sie alles tun, um eine ähnliche Partnerschaft wie Sina und
Brandon zu haben. Aber wahrscheinlich war so etwas einfach nicht jedem Menschen
vergönnt …

CHRISTCHURCH, 1998

    3.
    Ein Zug raste durch die
Nacht. Sie saß mitten auf den Gleisen und sah mit weit aufgerissenen Augen dem
Monster aus Stahl und Eisen entgegen. Sekunden, bevor der brüllend laute Zug
ihren Körper erreichte und mit einer einzigen, nachlässigen Drehung des Rads
ihr Leben beendete, wachte Katharina auf. Sie war schweißgebadet, das weite T-Shirt,
das sie anstelle eines Nachthemdes trug, klebte an ihrem Körper fest. Sie holte
tief Luft – und dann fiel ihr auf, dass das Geräusch nicht weg war. Der Zug
raste immer noch, mitten durch ihr Zimmer. Und ihr Bett bewegte sich wie ein
bockendes Tier quer durch den Raum, während auf dem kleinen Schreibtisch der
Bildschirm mit einem Krachen einfach umkippte.
    Katharina sprang aus ihrem Bett und
verlor sofort den Boden unter den Füßen. Sie sackte schwer auf die Knie und
hatte Mühe, nicht vollständig umzufallen. Was konnte das sein? Ihr Verstand
versuchte verzweifelt, eine Erklärung dafür zu finden, dass ihr der Himmel auf
den Kopf fiel. Eine kleine Ewigkeit kniete sie auf dem Boden, sah mit weit
aufgerissenen Augen, wie Bücher aus den Regalen purzelten und die Wasserflasche
neben ihrem Bett einfach umkippte und auslief.
    Dann war es plötzlich wieder still. Für einen Moment hörte Katharina
nur noch das leise Glucksen, mit dem das Wasser weiter aus der Flasche lief –
und das entfernte Weinen eines Kindes. Vorsichtig stand Katharina auf, fast so,
als glaubte sie dem Boden nicht, dass er jetzt wieder einen festen Halt bieten
würde. Ein kleiner Schritt zeigte ihr, dass jetzt nichts mehr schwankte. Noch
ein zweiter Schritt, dann stand Katharina in der Tür zu dem Gästezimmer und sah
in das Wohnzimmer. Ein Anblick der Verwüstung. Wo am Abend vorher noch Bilder
an den Wänden gehangen und Bücher ordentlich in den Regalen gestanden hatten,
lag jetzt alles durcheinander. Dazwischen die umgeworfene Stehlampe. Katharina
konnte sehen, dass sogar der Grill auf der Veranda umgekippt war. In der
gleichen Sekunde wurde ihr auch klar, dass noch nicht alle Kohlestückchen
restlos ausgeglüht waren – und in

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