Der Gesang der Maori
Vergangenheit aufzuklären. Was
würde es Ewan bringen, wenn er wüsste, dass seine echte Mutter eine Maori ist?
Er kann ihr nicht mehr begegnen, Ruiha ist tot. Brandon und ich haben uns lang
darüber unterhalten. Und dann haben wir beschlossen, dass wir die Geister der
Vergangenheit ruhen lassen. Es ist schon so lange her, dass sein GroÃvater für
Trauer und Tränen gesorgt hat. Jetzt ist der alte Cavanagh meistens allein in
seiner Hütte und kann dort über seine Fehler nachdenken. Nur seine alte
Haushälterin Fiona sieht hin und wieder nach ihm. Und ich bin mir sicher, dass
er dabei nicht selten weint. Immerhin ist ihm fast alles zerronnen, was er an
Lügengebilden aufgebaut hat. Sicher, er besitzt diese groÃe Reederei â aber die
hat Ewan schon fast übernommen, und der sorgt für sehr viel bessere Bedingungen
für seine Arbeiter als der alte Cavanagh ⦠Nein, ich denke, es war die richtige
Entscheidung, die Vergangenheit auf sich beruhen zu lassen.«
Katharina strich mit dem Finger über das raue Holz des Tisches.
Offensichtlich hatte niemand Zeit für einen neuen Anstrich mit Ãl oder Farbe.
»Was war dann mit diesem Bruder von Ewan? Hast du mir damals nicht geschrieben,
der sei bei Ruihas Beerdigung völlig überraschend aufgetaucht?«
»Ja«, nickte Sina. »Aber ich habe nie ein Wort mit ihm gewechselt.
Er war bei der Beerdigung â und ist direkt danach im Trubel der
Beileidsbekundungen wieder verschwunden. Ich habe alle danach gefragt, aber
niemand hat gesehen, wie er gekommen ist â und niemand hat bemerkt, dass er so
schnell wieder verschwunden ist. Keiner konnte mir sagen, woher er von ihrer
Beerdigung wusste â und wo er jetzt eigentlich lebt. Er war allein bei der
Beerdigung, aber das bedeutet ja nicht, dass er auch allein lebt. Das bleibt
also alles ein Geheimnis.«
»Und du hast nie versucht, es zu lüften?« Katharina sah ihre
Freundin gespannt an. Das sah Sina nicht ähnlich. Ihre Freundin wollte doch
immer allem und jedem auf den Grund gehen.
Sina drehte an ihrem Ehering, an dem ein kleiner Diamantsplitter im
Sonnenlicht glänzte. »Ich habe nachgefragt. Keiner wusste etwas. Was hätte ich
noch tun sollen? AuÃerdem hätte John ja mit uns reden können, wenn er wirklich
den Kontakt mit seiner Familie gesucht hätte. Er muss doch wissen, dass wir
nichts mehr mit den Verbrechen des alten George Cavanagh zu tun haben, oder?
Ich gebe zu, ich war enttäuscht darüber, dass er nicht länger geblieben ist und
das Gespräch mit uns gesucht hat. Aber dann habe ich beschlossen, dass wir seine
Entscheidung ebenso akzeptieren müssen wie alle anderen Dinge, die er getan
hat. Auch wenn ich neugierig gewesen wäre, wie sein Leben wirklich verlaufen
ist ⦠Die Sache mit dem Suffkopf im Pazifik war ja nun offensichtlich eine
weitere Lüge von George Cavanagh.«
Katharina schüttelte den Kopf. »Aber â¦Â«
Sie wurde von dem Geräusch eines Schlüssels, der sich in der Haustür
drehte, unterbrochen. Sina flog von ihrem Stuhl hoch, sie hatte ganz offensichtlich
die ganze Zeit darauf gewartet, dass Brandon endlich nach Hause kommen würde.
Katharina blieb sitzen. Sie wollte den beiden wenigstens einen Moment
Zweisamkeit gönnen, bevor sie auftauchte. Und tatsächlich verging ein sehr
langer Moment, bis Sina und Brandon eng umschlungen auf der Veranda
auftauchten. Brandon löste sich fast widerwillig von seiner Frau, um Katharina
zu umarmen. »Schön, dich endlich wiederzusehen!«, erklärte er dabei. Auch er
hatte sich in den letzten drei Jahren kaum verändert. Immer noch die grauen
Augen, die unfrisiert aussehenden Haare, die in alle Richtungen standen.
Vielleicht ein paar Lachfältchen mehr um die Augen, aber dazu die drahtige
Figur und die muskulösen Oberarme ⦠Katharina umarmte ihn.
»Ja, so haben wir uns das vor drei Jahren kaum vorgestellt, oder?
Ich meine, ihr beiden verheiratet â¦Â«
»Ich schon!«, verkündete Brandon ernst. »Ich habe Sina gesehen und
gewusst: Das ist die Frau, mit der ich mein Leben verbringen möchte.« Er sah
nicht so aus, als ob er einen Scherz machte.
Inzwischen war auch die kleine Ava herbeigewackelt. »Daddy! Daddy!«,
rief sie und umarmte Brandons Beine.
Der schloss seine Tochter in die Arme. »Du bist vielleicht
gewachsen, mein Liebling.« Mit einer zärtlichen Geste nahm er
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