Der Gesang der Maori
aussah.
Als Katharina durch das Gate lief, erkannte sie Sina sofort. Sie sah
fast unverändert aus: goldblonde Haare, die sie inzwischen nur noch kinnlang
trug, dazu die hellen grünblauen Augen, deren Farbe immer an das Meer
erinnerte, die sportlich-schlanke Figur â und als einzige Neuerung ein ebenso
blondes, blaugrünäugiges kleines Mädchen, das sich an Sina klammerte und mit
groÃen Augen in die Welt blickte. Katharina umarmte der Einfachheit halber
gleich alle beide und betrachtete sie dann genauer. »Du siehst einfach
groÃartig aus! Das Leben hier unten scheint dir wirklich zu bekommen!«
Sina nickte. »Es ist auch schlicht perfekt, ich habe Glück gehabt â¦
Brandons Schiff läuft heute Nachmittag ein, er freut sich schon darauf, dich
wiederzusehen! Und jetzt komm mit nach Hause, wir haben uns so viel zu
erzählen!«
Die kleine Familie der Cavanaghs lebte immer noch in dem kleinen
gelben Häuschen, in dem Sina und Brandon in den ersten Monaten ihre Liebe vor
den Augen des GroÃvaters verborgen hatten. Ein mit blühenden Büschen
überwucherter Garten, eine romantische Veranda, auf der ein Barbecue-Grill
heftige Gebrauchsspuren zeigte â Katharina fühlte sich auf Anhieb wohl. Sina
hatte ihr ein Bett im Arbeitszimmer hergerichtet und dabei fröhlich erklärt:
»Wenn wir ein zweites Kind wollen, dann müssen wir uns eine andere Bleibe
suchen, dafür hätten wir ein Zimmer zu wenig. Aber im Moment ist es für uns
perfekt. AuÃerdem hängen so viele Erinnerungen an diesem Haus. Hier fühle ich
mich immer wieder wie frisch verliebt.«
Die kleine Ava konnte mit ihren vierzehn Monaten schon laufen und
wackelte auf dicken Beinen unsicher durch den Garten, während die beiden Frauen
es sich mit einem Glas kalten WeiÃwein auf der Veranda gemütlich machten.
»Bist du glücklich mit deinem Leben?«, wollte Katharina als Erstes
wissen. »Immerhin war es doch ein riesiger Schritt damals. Von Deutschland nach
Neuseeland, hier arbeiten, hier heiraten â¦Â«
Sina grinste. »So groà war der Schritt auch wieder nicht. Mit
Brandon war ich mir unendlich sicher, den richtigen Mann gefunden zu haben. Und
dieses Gefühl hat bis heute noch keinen Tag nachgelassen. Denk doch mal an
meine GroÃmutter Ava. Die ist damals ins völlig Unbekannte aufgebrochen, kannte
nicht einmal den Mann, den sie hier heiraten wollte. Das kommt mir doch sehr
viel mutiger vor als das, was ich getan habe â dir etwa nicht?«
»Doch, aber das war eine andere Zeit. Die Menschen, die damals
auswanderten, waren ja wirklich verzweifelt, sie konnten sich keine Zukunft
mehr in ihrer Heimat vorstellen. Du hättest dagegen ohne Probleme in
Deutschland bei einem Krankenhaus anfangen können und hättest als Ãrztin eine
wunderbare Zukunft gehabt â¦Â« Katharina sah Sina fragend an.
Die sah versonnen ihrer Tochter nach, die in diesem Moment mit
voller Konzentration eine kleine, weiÃe Blüte in ihre Einzelteile zerlegte.
»Das magst du vielleicht so sehen. Für mich wäre ein Leben ohne Brandon und Ava
nie so wunderbar gewesen wie das Leben, das ich heute führen darf. Ich glaube,
man begegnet seiner groÃen Liebe nur ein einziges Mal â wer dann sein Glück
nicht mit beiden Händen packt, wird als Dummkopf vom Schicksal übel bestraft.
Und ich bin mir sicher, dass ich mit Brandon den perfekten Gefährten für mein
Leben getroffen habe. Vielleicht Schicksal, dass sich so Avas Leben doch noch
zu einem Kreis geschlossen hat.«
Katharina griff nach ihrem Weinglas, nahm einen langen Schluck und
sann über Sinas Worte weiter nach. »Ihr habt Brandons GroÃvater nie mit der
ganzen Wahrheit, die du herausgefunden hast, konfrontiert? Ihm nie gesagt, dass
er das Leben von so vielen Menschen zerstört hat?«
Sina zuckte mit den Achseln. »Doch. Brandon hat ihm alles an den
Kopf geworfen, noch vor Ruihas Beerdigung. Die Geschichte von Ava und ihrer
glücklichen Ehe mit John Denson. Dem Bergwerksunglück in der Mine, die John das
Leben gekostet hat. Die Verzweiflung von Ava, als sie ihren kleinen Sohn
ausgerechnet bei Brandons GroÃvater zurücklassen musste. Die Vergewaltigung von
Ruiha durch Brandons GroÃvater â und damit die Zeugung von Ewan, Brandons
Vater. Aber nach der Beerdigung von Ruiha hat Brandon beschlossen, dass es
nicht seine Aufgabe ist, seinen Vater über die
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