Der Gesang der Maori
Tsunami gewarnt â¦Â«
Ava fing wieder an zu weinen. Brandon legte das Radio zur Seite und
nahm seine Tochter in die Arme. »Mama sorgt schon dafür, dass deine Hand wieder
ganz gesund wird.« Sina zog in der Zwischenzeit eine kleine Spritze auf,
klopfte kurz auf Avas Arm und spritzte dann die helle Flüssigkeit in Avas
Adern. »Damit sollte sie keine Schmerzen mehr haben und einfach einschlafen«,
erklärte sie. Und tatsächlich wurden nur wenige Augenblicke später die Atemzüge
des kleinen Mädchens tiefer, sie schlief ein. Nur der etwas metallische Klang
des Radios hallte weiter durch das dunkle Haus.
Für einen Augenblick verharrten die Erwachsenen, dann stand Brandon
auf und verschwand in der Küche. Sie hörten ihn mit ein paar Gegenständen
hantieren und das Zischen eines Campingkochers â dann kam Brandon mit zwei
dampfenden Tassen Tee wieder. Seine Stimme klang nach einem Lächeln, als er
Katharina ihren Becher in die Hand drückte. »Gut, dass Sina schon alles für unsere
Reise an die Westküste hergerichtet hat. Da musste ich nicht lange nach dem
Kocher suchen â¦Â«
Sina lachte leise auf. »Also beschwer dich nie wieder, dass deine
Frau viel zu ordentlich für Neuseeland ist. Meine Ordnung überdauert sogar Erdbeben.«
Sie streichelte ihrer schlafenden Tochter über die Stirn. »Wir sollten dann
aber unbedingt versuchen, mit Ava ins Krankenhaus zu kommen. Wenn die StraÃen
nicht befahrbar sind, müssen wir es eben zu Fuà versuchen. Sind ja nur ein paar
Kilometer â¦Â«
»Jetzt trink erst einmal deinen Tee. Dann wird es drauÃen allmählich
hell, und wir können besser abschätzen, wie wir den Weg wagen.« Brandons Stimme
war warm und beruhigend. Ganz anders die Sprecherin im Radio, die immer neue
»Breaking News« verkündete. Offenbar war das Epizentrum des Erdbebens nur
wenige Kilometer westlich von Christchurch in Lyttelton gewesen. Brandon sah
besorgt aus, als er nach dem Telefon griff, offensichtlich in einen toten Hörer
hineinlauschte und dann wieder auflegte. »Hoffentlich geht es meinen Eltern
gut. Und der Crew ⦠die meisten sind heute Nacht noch auf der Coral geblieben
â¦Â«
»Wahrscheinlich sind deine Eltern genauso besorgt, wie du es bist.
Wir müssen einfach warten, bis die Telefone wieder funktionieren â¦Â« Sinas
Stimme klang tröstend.
Mit einem Blick zum Himmel, der sich im Osten allmählich hell färbte
und einen weiteren wunderbaren Tag ohne eine einzige Wolke verhieÃ, erhob sie
sich. »Aber jetzt möchte ich mit Ava los. Die Spritze wirkt nicht ewig, am
liebsten würde ich alle Untersuchungen machen, noch bevor sie aufwacht. So
würden wir ihr die Angst und die Schmerzen ersparen.«
Brandon nickte und stand auf. »Ich sehe mal nach, ob ich im Keller
an das Tragegestell herankomme â¦Â« Damit öffnete er eine einfache Holztür unter
der Treppe und verschwand im Schein der Taschenlampe, die er ebenfalls in Sinas
Campingpaket gefunden hatte, nach unten. Es verging nicht allzu viel Zeit, und
er kam wieder, das Tragegestell triumphierend in der Hand. »So ist sie schon
auf vielen Wanderungen mit uns dabei gewesen! Damit bringen wir sie am besten
ins Krankenhaus!«
Augenblicke später machten sich die drei mit ihrer kostbaren Last
auf den Weg. Ava schlief friedlich mit halb geöffnetem Mund in dem
Tragegestell, während Brandon vorsichtig um Risse herum und über umgestürzte
Bäume stieg. In Katharina wurde mit einem Mal der Reporterinstinkt wach. Ob die
in München wohl einen Bericht aus dem Erdbebengebiet benötigten? Vorsichtshalber
nahm sie ihre Kamera mit auf den Weg und drückte immer wieder auf den Auslöser.
Brandon mit dem Kind mit dem geschienten Arm in der Rückentrage vor einem völlig
zerstörten Haus. Eine Frau im Nachthemd, die einfach auf der Treppe vor ihrem
Haus saà und mit leerem Blick vor sich hin starrte, in der Hand eine Zigarette,
die sie vergessen hatte, anzuzünden. Ein kleiner Hund, der winselnd unter einem
Busch Zuflucht gefunden hatte. Der hell erleuchtete Supermarkt »FiFo«, der
trotz des Unglücks geöffnet hatte und in dem sich die Menschen offensichtlich
mit Wasser eindeckten. Dazwischen immer wieder ihre Freunde, die sich, so
schnell es ging, einen Weg bahnten.
Es verging eine gute Stunde, bis sie den Bau des Krankenhauses vor
sich sahen. Vor dem
Weitere Kostenlose Bücher