Der Gesang der Maori
um
Gründlichkeit geht.«
Frau Heidekamp machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach, lassen
Sie mich bloà mit dem guten Ruf der Deutschen in Ruhe. Ich drücke Ihnen einfach
die Daumen, dass Sie alles finden. Aber seien Sie nicht zu optimistisch. Im
Krieg sind viele Archive verbrannt, Hamburg lag in Schutt und Asche â¦Â« Sie
musterte ihn. »Darf ich Sie fragen, wer diese Frau ist?«
John senkte den Kopf. »Ich weià fast nichts über sie. Ich glaube,
sie ist unter dem Namen Ava Erhardt hier eingewandert, aber das muss nicht stimmen.
Könnte auch als Ava Denson gewesen sein. Ich habe keine Ahnung â¦Â«
Ermutigend klopfte ihm seine neue Vermieterin auf den Rücken. »Das
bekommen Sie schon heraus! Ich drücke Ihnen auf jeden Fall die Daumen!«
Leider war der erste Nachmittag in Hamburg alles andere als
erfolgreich für John. Er fand zwar schnell zurück zum Hafen und fragte sich zur
Einwanderungsbehörde durch. Aber hier konnten die Beamten auf seine Frage hin
nur mit dem Kopf schütteln. »Einwanderer? 1936? Ich glaube
nicht, dass das irgendwo dokumentiert wurde«, brummelte ein glatzköpfiger
Mittfünfziger auf Johns Fragen hin. »Warum auch? Wenn die Frau, die Sie suchen,
eine Deutsche war, dann gab es ja auch keinen besonderen Anlass, ihre Heimkehr
irgendwo aufzuschreiben. Wäre sie ausgewandert ⦠dafür haben wir die Hamburger
Passagierlisten. Obwohl, die wurden nur bis 1934 geführt.«
»Aber wie kann ich diese Frau finden?« John hörte selbst, wie
verzweifelt seine Stimme klang.
Der Glatzkopf sah ihn durch seine fleckigen Brillengläser an. »Die
Frau hat sich hier in der Stadt niedergelassen, sagen Sie? Dann muss sie hier
schlieÃlich auch gemeldet sein. Wenn Sie also ihren Namen wissen, dann müssen
Sie nur in die Einwohnermeldebehörde.«
»Und wo finde ich die?« Am liebsten wäre John sofort losgerannt.
Der Beamte sah auf die Uhr an der Wand und schüttelte bedauernd den
Kopf. »Heute finden Sie da gar nichts mehr, junger Mann. Aber morgen um zehn
Uhr wird wieder geöffnet. Im Rathaus, können Sie gar nicht verfehlen.«
Enttäuscht nickte John. Aus irgendeinem Grund hatte er gegen jede
Vernunft gehofft, dass er seine Mutter sofort wiederfinden würde. In seiner
kindlichen Phantasie hatte es stets völlig ausgereicht, dass er in Deutschland
ankam â dann würde er Ava sicher sogleich finden. Die Wirklichkeit sah anders
aus. Da half es auch nichts, wenn er sich genau das in den letzten Monaten
immer wieder selbst gesagt hatte, sich selbst vor Augen geführt hatte, dass er
einen langen Weg vor sich hatte. Trotzdem hatte sich irgendwo die kleine,
unvernünftige Hoffnung gehalten, dass er seiner Mutter sofort in die Arme
laufen würde. Niedergeschlagen machte er sich auf den Weg zu seiner
freundlichen Vermieterin.
Irgendwann musste er wohl falsch abgebogen sein â denn mit einem Mal
fand er sich auf einem Platz wieder, auf dem unzählige niedrige Pavillons dicht
aneinandergedrängt standen. Aus einigen kam Musik. Es roch nach gebratenem
Fleisch und gut gewürztem Eintopf, an einer Ecke wartete eine Blondine mit
unzähligen Locken. John fühlte sich von dem Treiben angezogen und kam etwas
näher. Das sah interessanter aus als das Schlafzimmer eines toten deutschen
Soldaten, egal wie nett dessen Mutter war. Eine offene Tür zeigte ihm ein paar
eng zusammengeschobene Tische, auf denen Kerzen und Bierflaschen standen â John
konnte nicht widerstehen und setzte sich möglichst unauffällig an die Wand.
Eine rothaarige Frau baute sich vor ihm auf. »Na, was macht dich denn heute
glücklich?«, wollte sie wissen.
»Ein Bier.« John kam sich vor, als ob er in einer fremden,
verbotenen Welt angekommen wäre. Sein Leben als Schüler in Christchurch war so
behütet und ruhig gewesen, er hatte noch nie einen Fuà in eine Bar gesetzt. Wie
auch â das war schlieÃlich erst mit einundzwanzig erlaubt. In Deutschland
schienen diese Gesetze nicht zu gelten. Die Bedienung stellte sein Bier vor ihm
ab, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. John nahm einen tiefen
Schluck von dem bitter-kalten Getränk und sah sich weiter um.
Geschäftsmänner, Matrosen und der eine oder andere Beamte verirrten
sich in diese bunte Welt. Die einzigen Frauen, die er sehen konnte, sahen
allesamt so aus, als wären sie nicht zu ihrem
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