Der Gesang der Maori
Blass sind im
Moment alle Einwohner von Christchurch.« Er zuckte mit den Schultern. »Aber sie
haben alle Blut gespendet. Jetzt müssen wir nur noch hoffen, dass wir in
unserer Familie einen geeigneten Spender finden. Sina meinte, dass wir selber
unsere beste Chance sind!«
Es vergingen noch einmal ein paar Tage, an denen das Leben fast zur
Normalität zurückkehrte. In den Nachrichten aus aller Welt rutschten die Meldungen
aus Christchurch erst auf die hinteren Seiten und verschwanden dann ganz. Der
Chefredakteur von Katharina verlangte keine weiteren Reportagen mehr von ihr â
sparte allerdings nicht mit Lob über das, was sie nach Deutschland geschickt
hatte. »Sie sollten wirklich über eine Karriere als Berichterstatterin aus
Krisengebieten nachdenken!«, hatte er ins Telefon gebellt. »Sie haben das
richtige Einfühlungsvermögen dafür! Sie sind viel zu gut, als dass Sie nur
kleine Geschichten über Promis schreiben sollten!«
Am Ende eines warmen und wolkenlosen Frühlingstages kam Sina aus dem
Krankenhaus zurück. Sie sah erschöpft aus, als sie sich auf einen der Stühle
auf der Terrasse fallen lieÃ. Tiefe Schatten lagen unter ihren Augen, die jedes
Strahlen verloren hatten. »Was ist denn los, Liebling?«, fragte Brandon so
zärtlich, dass Katharina verlegen zur Seite sah.
»Es passt nicht!«, erklärte sie. Mit einem Schlag war ihnen klar,
wovon sie redete. »Von keinem von uns. Brandon, ich, Ewan, Dolores, Caithleen
und George â keiner von uns kommt als Spender infrage.«
»Dann müssen wir weitersuchen. Der ganze Clan von Ruiha ist ja auch
noch da. Wenn von denen einer für Ava passt â¦Â« Brandon vollendete den Satz
nicht.
Sina lachte leise auf. »â¦Â dann müssen wir deinem Vater eben doch
endlich sagen, dass er ein halber Maori ist. Das wird eine Ãberraschung. Aber
was ist, wenn wir hier immer noch nicht weiterkommen?«
»John junior.« Brandon flüsterte den Namen fast. »Er kann ja nicht
so schwer zu finden sein. Immerhin wusste er von Ruihas Beerdigung! Irgendjemand
muss Kontakt zu ihm haben, muss wissen, wo er eigentlich ist.«
»Aber wer?« Sina schüttelte den Kopf. »Wir haben uns schon so oft
darüber unterhalten. Es kann nicht sein, dass Ewan der heimliche Kontakt ist.
Dein Vater hätte dich nicht jahrzehntelang über seinen Bruder angelogen. Diese
abwegigen Geschichten von dem versoffenen John, der irgendwo an einer Theke im
Pazifik lehnt ⦠das hat Ewan doch wirklich geglaubt!«
Vorsichtig schaltete sich Katharina in das Gespräch ein. »Vielleicht
schaffe ich es ja. Ich meine, ich komme in den nächsten Wochen ziemlich rum in
Neuseeland, mein Beruf ist die Fragerei â es besteht doch immerhin die Chance,
dass ich John finde. Ihr seid euch immerhin sicher, dass er sich hier im Land
befindet. Nachdem das nicht allzu groà ist ⦠lasst es mich versuchen!«
»Das würdest du tun?« Sina lächelte ihre Freundin an. »Das wäre
wirklich wahnsinnig lieb!«
»Und ihr habt nichts zu verlieren â wenn ich John nicht finde, sind
wir nicht schlechter dran als im Augenblick.«
»Dann ist es abgemacht!«, erklärte Brandon dankbar.
Wie auf Stichwort ertönte plötzlich lautes Heulen aus Avas Zimmer.
Sina sprang auf und rannte zu ihrer Tochter, um sie zu beruhigen. Es verging
eine Weile, bis Ruhe einkehrte und Sina wieder zurück auf die Terrasse kam.
»Sie hat sich übergeben. Ich denke, wir kommen allmählich in das bösere Stadium
ihrer Krankheit.« Sie sah Katharina ernst an. »Hoffentlich hast du Erfolg! Wir
brauchen diesen Onkel. Wenn die Verwandtschaft von der Westküste bei den
Bluttests nicht infrage kommt, dann ist John unsere letzte Hoffnung!«
»Ich mache mich morgen auf den Weg«, versprach Katharina. »Und
verlass dich auf mich: Ich werde diesen Mann finden!«
HAMBURG, 1953
4.
Es schien eine Ewigkeit
auf der Pacific Maiden vergangen zu sein, als endlich der Hafen von Hamburg in
Sicht kam. Johns Haare hingen ihm strähnig in die Augen, seine Kleidung starrte
vor Dreck und stank zum Himmel, als er endlich seinen Seesack packen und sich
über die Schulter schmeiÃen konnte. Längst wusste er, dass er bei einem Schiff
einer anderen Reederei zwar ähnlich viel Kohle hätte schaufeln müssen â aber
den Schlägen des Maats entgangen wäre. Sein GroÃvater
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