Der Gesang der Maori
für einen Augenblick die
friedliche Stimmung des Zimmers in sich auf. Nach den Monaten auf See wirkte es
auf ihn wie ein Paradies. Er drehte sich um.
»Das ist wunderbar! Was wollen Sie dafür?« Das Leuchten seiner Augen
schien ihn zu verraten.
Die Frau schmunzelte. »Fünf Mark die Woche, im Voraus zu bezahlen.
Für jedes Vollbad zahlen Sie zwanzig Pfennig extra.« Sie sah ihn noch einmal
mit kritischer Miene an. »Aber so, wie Sie aussehen, würde ich Ihnen das erste
Bad schenken. Als mein WillkommensgruÃ, wenn Sie so wollen. Oder vielleicht
auch nur aus Eigennutz, weil ich Ihren Geruch keine Sekunde länger ertrage.«
John spürte, dass er vor Dankbarkeit fast in Tränen ausbrach. Er
bemühte sich um Fassung, als er seinen Seesack etwas anhob. »Wenn Sie mir jetzt
noch sagen können, wo ich meine Wäsche waschen lassen kann, dann sind wir uns
einig.«
Sie streckte die Hand danach aus. Als er nicht reagierte, wedelte
sie ungeduldig damit in der Luft herum. »Jetzt geben Sie schon her, das
erledige ich. Wenn Sie morgen aus dem Haus gehen, dann wird man Sie nicht mehr
riechen, bevor man Sie sieht â¦Â« Ein Lächeln zeigte ihre gepflegten Zähne.
»Nehmen Sie mir es nicht übel, aber Sie wirken so, als ob Sie die ganze
Ãberfahrt auf der Latrine verbracht hätten â¦Â«
John fing an zu lachen und streckte ihr seine Hand entgegen. »Wenn
Sie wüssten, wie nahe Sie an der Wahrheit sind! Mein Name ist John Cavanagh,
und es wäre mir eine Ehre, Ihr Zimmer mieten zu dürfen!«
Sie ergriff seine Hand. »Mein Name ist Heidekamp â und jetzt heize
ich als Erstes für Ihr Willkommensbad ein â¦Â«
Eine halbe Stunde später lieà John sich vorsichtig in das heiÃe
Wasser gleiten. Das helle Tageslicht zeigte jeden gelben und blaugrün
schillernden Fleck auf seinem Körper in brutaler Deutlichkeit. Als er sich ein
wenig streckte, protestierten seine Rippen mit stechenden Schmerzen. Trotzdem
schloss er für einen Moment genussvoll die Augen. Dann griff er nach der Seife
und fing an, sich wieder in einen Menschen zu verwandeln. Als er endlich das allmählich
kühler werdende Wasser verlieÃ, hatte sich ein dunkler Rand an der Wand der
Badewanne abgesetzt. John rieb sich mit dem sauberen Handtuch, das wunderbar
nach Waschmittel und Sonne roch, langsam trocken, bevor er dann nach seinem Rasiermesser
griff und sich den sieben Wochen alten Bart aus dem Gesicht schabte. Danach sah
er seine Haare kritisch an. Ein ganzes Stück zu lang, aber da sollte sich
vielleicht besser ein Fachmann ans Werk machen.
Frau Heidekamp hatte ihm einen Stapel Wäsche in die Hand gedrückt,
als sie ihm das Badezimmer gezeigt hatte. »Das hat meinem Sohn gehört, das
könnte Ihnen vielleicht passen. Sie haben eine ähnliche Statur«, hatte sie dazu
gesagt. Dann hatte sie sich weggedreht â ein wenig zu langsam. John hatte die
Tränen in ihren Augen gesehen. Er hegte den Verdacht, dass er auch in dem
Zimmer des Sohnes schlafen würde. Was dem widerfahren war, war so wenige Jahre
nach dem Krieg kein groÃes Geheimnis. Wenn er Frau Heidekamps Abneigung gegen
Amerikaner bedachte, ahnte John schon die halbe Geschichte. Langsam zog er die
Tuchhosen und das gut gebügelte Hemd an. Unglaublich, wie gut sich so etwas auf
der Haut anfühlte. Als er die Treppe wieder herunterkam, sah ihn Frau Heidekamp
mit groÃen Augen an. »Sie sehen völlig verändert aus. Und ich habe schon
befürchtet, dass ich aus einer plötzlichen, mir selbst nicht ganz verständlichen
Eingebung heraus einem wilden Piraten Unterkunft gewähre.« Sie deutete auf
seine Nase. »Aber daran müssen Sie sich wohl gewöhnen.«
John zog eine Grimasse. »Ja. Da hat mein Maat wohl ein bisschen zu
heftig zugelangt, die ist gebrochen. Aber vielleicht kann ich ja behaupten,
dass ich auf diese Art und Weise ein echtes Charaktergesicht bekommen habe â¦Â«
»Was haben Sie denn jetzt vor?« Frau Heidekamps Frage wirkte weder
neugierig noch aufdringlich. Sie sah ihn nur mit freundlichem Interesse an.
»Ich gehe noch einmal zum Hafen. Ich bin auf der Suche nach einer
Frau, die vor siebzehn Jahren mit einem Schiff aus Neuseeland hier angekommen
ist. Mit ein bisschen Glück gibt es da noch Listen oder irgendwelche anderen
Unterlagen.« Er lächelte. »Die Deutschen haben doch einen guten Ruf, wenn es
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