Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gesang der Maori

Der Gesang der Maori

Titel: Der Gesang der Maori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
Vom Netzwerk:
Vergnügen hier. Ob er sich da
täuschte? Immerhin hatte er von solchen Frauen bis jetzt nur hinter vorgehaltener
Hand von seinen Freunden gehört. Und es eigentlich nicht glauben können, dass
es so etwas wirklich gab. Ehe er es sich versah, war sein erstes Glas Bier auch
schon leer. Ohne sich lange mit Fragen aufzuhalten, stellte die Frau hinter der
Bar ihm ein neues hin. Er nickte ihr zu und nahm einen tiefen Schluck.
Vielleicht war dieses deutsche Bier ja ziemlich bitter – aber ihm schmeckte es
mit jedem Schluck besser. Da verblasste die Erinnerung an das lauwarme Gesöff,
das sie auf der Maiden getrunken hatten und das den Namen Bier nun wirklich
nicht verdient hatte.
    Eine Weile saß er bewegungslos da. Allmählich spürte er seine
angeknacksten Rippen nicht mehr, die blauen Flecken wurden unwichtig, nur die
bunten Farben und das Bier sorgten dafür, dass er sich wohlfühlte. Er wachte
aus seinem Halbschlaf erst wieder auf, als die Barfrau mit dem dritten Bier auftauchte.
Er schüttelte abwehrend den Kopf. »Nein. Ich muss weiter, ich finde sonst nicht
mehr den Weg nach Hause …«
    Sie sah ihn mit einem spöttischen Lächeln an. »Schätzchen, das ist
der Grund, warum die meisten Männer überhaupt zu mir kommen. Sie hoffen darauf,
dass sie hier ihr Leben, das sie sonst so führen müssen, möglichst schnell
vergessen.«
    John schob ihr ein Markstück zu. »Das habe ich nicht nötig. Ich will
mich an alles erinnern. An alles!«
    Sie streichelte ihm fast mütterlich über den Arm. »Das wird sich
noch legen, glaube mir. Irgendwann bist du so weit und willst alles vergessen.
Alles. Und dann ist Bier ein treuer Helfer. Oder Schnaps.« Damit stand sie auf
und verschwand. John blieb noch einen Moment sitzen. Irgendwie kam ihm diese Barfrau
wie eine böse Hexe vor, die ihn mit einer Art Fluch belegt hatte.
    Ein wenig zu schnell stand er auf, zog sich seine Jacke über, die
ihm ebenfalls Frau Heidekamp gegeben hatte, und machte sich auf den Weg zu
seiner Unterkunft. Die Kneipe war ihm unheimlich. Den Ruf zum Vergessen und zum
sorglosen Leben hatte er fast zu laut vernommen. Und er hatte ihn nicht so sehr
abgestoßen, wie er es erwartet hatte … Als er wenig später die Tür zu seinem
gepflegten, hellen Zimmer öffnete, atmete er tief durch. Frische Luft drang
durch die weit aufstehenden Balkontüren, und als er sich auf sein Bett fallen
ließ, roch er das frisch gewaschene Leinen. Er schloss für einen Moment die
Augen. So musste Heimat riechen, da war er sich sicher. Seine Gedanken über den
toten Soldaten beschämten ihn – das hier war einfach nur das Zuhause eines
geliebten Sohnes gewesen. Etwas, das er so gerne sein wollte. Er schlief lange
und traumlos, das erste Mal, seit er seine Heimat verlassen hatte.
    Â 
    Die Kirchenuhr schlug
genau zehn Uhr, als er die Meldebehörde betrat. Er sah sich suchend um. Wer
konnte ihm jetzt nur weiterhelfen? Ratlos studierte er die Wegweiser auf dem Schild
an der Wand. Keiner sagte ihm, wo er das Archiv finden könnte. Eine junge Frau
mit einem fröhlichen Pferdeschwanz kam mit klappernden Absätzen durch die
Eingangshalle und stellte sich neben ihn. John räusperte sich vorsichtig.
»Sagen Sie … wissen Sie, wo hier das Archiv ist? Ich suche Unterlagen aus den
Dreißigerjahren, und ich habe keine Ahnung, wo ich die finden könnte!«
    Sie sah weiter auf die Wand, während
sie ihm mit einem schnippischen Unterton antwortete. »Ehrlich gesagt, habe ich
keine Ahnung. Aber wie ich unsere deutschen Archive kenne, werden Sie am
ehesten im Keller fündig.« Endlich wandte sie sich von der Wand ab und sah ihm
in die Augen. »Was wollen Sie denn mit so alten Meldeunterlagen? Die meisten
Häuser gibt es doch schon gar nicht mehr, was wollen Sie mit der Adresse?«
    John zuckte mit den Schultern. »Ich bin auf der Suche nach einer
Verwandten. Und irgendwo muss ich doch anfangen, oder?«
    Die junge Frau deutete auf ein kleines Fenster am anderen Ende der
Eingangshalle. »Das ist die Information. Dort kann man Ihnen sicher weiterhelfen.«
Sie wollte offensichtlich weiterreden, aber stattdessen biss sie sich auf die
Lippen und sah weiter auf das Schild.
    Â»Und … was suchen Sie?« John wollte wenigstens ein bisschen höflich
sein. Und in Neuseeland gehörte es sich nun einmal nicht, ein Gespräch ohne ein
wenig Small Talk zu

Weitere Kostenlose Bücher