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Der Gesang der Maori

Der Gesang der Maori

Titel: Der Gesang der Maori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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Strömung des Flusses schwächer. Der
Kies auf dem er lag, war mit einem Film aus Ruß und Schlamm bedeckt, der sich
wie eine zähe Decke über alles legte.
    Â»Sir, wie geht es Ihnen?« Ein besorgt aussehender Mann mit einer
Uniform beugte sich über John.
    Â»Was ist passiert?«, brachte John heraus. Er erschrak selbst über
seine heisere Stimme. »Wo finde ich die Überlebenden?«
    Ein Ausdruck des Bedauerns war in den Augen des Mannes zu erkennen.
Er schüttelte den Kopf. »Es sind nur wenige. Aus den Waggons, die in den
Whangaehu gestürzt sind, haben wir bis jetzt nur ein Dutzend Menschen
geborgen.«
    John richtete sich weiter auf. Am anderen Ende der Uferbank, auf der
er sich befand, lag der Waggon, in dem er mit Inge gesessen hatte, wie ein riesiger,
gestrandeter Wal auf der Seite. Mit dem Sinken des Wassers waren auch die
Fenster wieder frei zugänglich. »Haben Sie in diesem Wagen schon nachgesehen?«,
fragte er.
    Wieder dieser Blick. »Ich habe da nur reingesehen. Alles
zerschmettert, die Bänke, die Inneneinrichtung … da kann keiner überlebt
haben!«
    Â»Aber ich war da drinnen!«, beharrte John. »Ich habe eine alte Frau,
Kinder und einen Mann durch das Fenster gebracht. Das können doch nicht die
Einzigen gewesen sein, die es geschafft haben.«
    Â»Sir, Sie haben da ein Wunder vollbracht – aber wir haben sonst
niemanden aus diesem Waggon gefunden. Wollen Sie vielleicht zu dem Zelt, in dem
wir die Opfer erst einmal versorgen? Vielleicht finden Sie dort die Menschen, die
Sie suchen.« Er streckte hilfsbereit seine Hand aus, und John kam mit seiner
Hilfe auf die Beine. Er stöhnte und hielt sich die Seite. Durch die Bewegung
hatte die Wunde wieder stärker angefangen zu bluten.
    Er machte sich auf in Richtung des Erste-Hilfe-Zeltes, das der
Uniformierte ihm gezeigt hatte. Davor saßen inzwischen etwa zwanzig Menschen.
Sie musterten ihn hoffnungsvoll und wandten sich dann ab. Er war nicht
derjenige, auf den sie gewartet und gehofft hatten. John sah sie sich genauso
gründlich an. Der rußige Dreck ließ alle Gesichter wie Masken erscheinen.
Trotzdem dauerte es nur kurz, bis ihm klar wurde, dass Inge sich nicht unter
diesen Geretteten befand.
    Eine Frau, offensichtlich von einer der umliegenden Farmen, bot Tee
an. John nahm sich eine Tasse und trank einen tiefen Schluck. Dann gab er die
Tasse der Frau mit einem Nicken zurück. Er musste weiter nach Inge suchen.
Vielleicht lag sie ja auch irgendwo und war bewusstlos, so wie er selbst in den
letzten Stunden am Fluss gelegen hatte. Als er sich umdrehen wollte, verstand
die Frau, was er vorhatte. Sie legte ihm eine kühle Hand auf den Oberarm.
    Â»Bleiben Sie doch hier! Ihre Wunde muss versorgt werden!«
    John schüttelte den Kopf. »Das hat Zeit. Ich muss jemanden suchen.
Vielleicht liegt sie irgendwo eingeklemmt und wartet auf Hilfe. Da kann ich
nicht hier sitzen und Tee trinken!«
    Â»Aber es sind so viele Männer da draußen und suchen …« Ihre Stimme
brach ab, als sie die Entschlossenheit in seinem Blick erkannte. John würde
sich durch nichts und niemanden davon abhalten lassen, nach der Frau zu suchen,
mit der er eine Zukunft geplant hatte. So grausam konnte das Schicksal doch
nicht sein.
    Langsam lief er an dem Ufer entlang zu dem Waggon, in dem er letzte
Nacht um sein Leben gekämpft hatte. Am Ufer lagen einzelne Schuhe. Ausgetretene
Arbeitsschuhe von Männern, höhere Frauenschuhe mit abgerissenen Absätzen und immer
wieder Kinderschuhe. Der Anblick schnürte ihm den Hals zu. So viele Menschen,
die in diesem Zug gesessen hatten. Und er hatte immer noch keine Ahnung, was
eigentlich passiert war. Hatten die Brückenpfeiler unter dem Gewicht des Zuges
nachgegeben?
    Fast verborgen unter einem tief hängenden Gebüsch lag
zusammengekrümmt der Körper eines Mannes. Seine Beine waren merkwürdig
verdreht, und seine Augen starrten groß und rußverschmiert ins Leere. Mit einer
sanften Bewegung schloss John ihm die Augen und zog ihn ins Freie. Sorgfältig
bettete er ihn auf den Rücken, richtete sich auf und winkte nach einem weiteren
Helfer, bevor er weitersuchte. Er wollte keine Zeit bei den Toten verschwenden
– er war auf der Suche nach einer Lebenden. Sie musste leben!
    Ein schwerer Baumstamm versperrte ihm den Weg. Er wollte schon
darüberklettern, als ihm plötzlich die blasse Hand auffiel, die aus dem

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