Der Gesang der Maori
kann man rauskommen!«
Eine klamme Hand griff nach ihm. John hielt sie fest und zog eine schmale
Gestalt nach drauÃen. Dann noch einen Mann, schlieÃlich ein weiteres Kind.
Eine schwankende Laterne näherte sich dem umgestürzten Waggon. Eine
Männerstimme rief: »Kann man hier helfen? Lebt hier noch jemand?«
John rief, so laut er irgend konnte: »Ja! Hierher! Ich habe Kinder,
kommen Sie und nehmen Sie mir die Kleinen ab. Ich versuche noch mehr nach drauÃen
zu ziehen!«
Der Mann kämpfte sich durch den tosenden Fluss zu ihm durch, nahm
ein Kind an jede Hand und machte sich auf den Rückweg ans Ufer. Wenn John die
Situation richtig einschätzte, dann lag der Waggon einfach auf der Seite in
einem reiÃenden Fluss. Allmählich rutschte er tiefer und tiefer in die Mitte
des Flusses. Was dann passieren würde, konnte man sich leicht ausmalen: Bald
würde der Waggon untergehen, jeder, der dann noch im Inneren war, würde
ertrinken.
Voller Panik steckte John noch einmal den Kopf ins Innere.
Inzwischen war unter der Decke des Waggons nur noch etwa ein Meter frei.
»Hallo! Wer mich hören kann, soll hierherkommen! Hier geht es ins Freie!«,
brüllte er noch einmal. Die einzige Antwort, die er bekam, war das gurgelnde
Geräusch, mit dem der Waggon allmählich volllief. »Hallo?!«, rief John noch
einmal. Nichts.
Kurz entschlossen zog er sich durch das Fenster wieder ins Innere.
Tastend bewegte er sich durch das Abteil. War hier jemand eingeklemmt, den er
noch retten konnte? Nach ein paar Metern spürte er einen schweren Stoff
zwischen den Fingern. Leinen oder etwas Ãhnliches, auf keinen Fall der leichte
Sommerstoff, den Inge heute getragen hatte. Er zerrte ein wenig an dem Stoff,
spürte, wie sich etwas löste â und hatte Sekunden später die ältere Frau, die
ihn und Inge so missbilligend angesehen hatte, in den Armen. Schwer atmend
kämpfte er sich zurück zu dem Fenster und schob sie nach drauÃen. Zum Glück war
dort wieder der andere Helfer. Der nahm sie in Empfang und versprach: »Ich
kümmere mich um sie. Retten Sie sich jetzt endlich selbst! Das Ding kann jede
Sekunde abrutschen!«
John schüttelte nur den Kopf und verschwand wieder in dem nassen
Dunkel des Abteils. Jetzt waren nur noch etwa vierzig Zentimeter über seinem
Scheitel frei. Er versuchte mit Händen und FüÃen weiter nach einem menschlichen
Körper zu fahnden. Ein schwerer Koffer knallte ihm gegen den Kopf, für einen
Augenblick wurde ihm schwarz vor Augen.
Genau in diesem Moment rutschte der Waggon ab und gab der Strömung
des Flusses nach. Mit einem groÃen Schwung drehte er sich und wurde von den
Wassermassen in die Mitte des Stromes geschoben. Für einige Meter bewegte sich
der Waggon mit zunehmender Geschwindigkeit, dann landete er mit einem lauten
Knirschen an einer Sandbank. Das Fenster, durch das John in das Innere des
Waggons gestiegen war, verschwand mit einem Schlag unter dem Wasserspiegel. Und
John erfasste zum ersten Mal blanke Panik. Was, wenn er diesen Waggon nie mehr
verlassen konnte?
Sein Blick fiel auf das andere Fenster, das bereits beim Sturz des
Zuges in den Fluss zerborsten war. Entschlossen fing er an, sich den Weg in
diese Richtung zu bahnen. Immer wieder stieÃen dabei Gegenstände, Holzteile und
Polster gegen seinen Körper. Aber sosehr er auch darauf hoffte: Er konnte
nirgendwo auch nur einen einzigen weiteren lebenden Menschen sehen oder hören â
und auch Inge blieb verschwunden.
Der Raum zum Atmen wurde indessen bedrohlich knapp. Während das
schwere Metall ihn immer tiefer in das Flussbett zog, waren nur noch knappe
zwanzig Zentimeter Luft unter dem Dach übrig. Jetzt war kein einziges Fenster
mehr zu sehen. Erst als John sich irgendwo in der Nähe des lebensrettenden
Ausgangs wähnte, holte er tief Luft. Er musste zu dieser Lücke tauchen, sonst
würde sein Leben an diesem Tag in diesem brodelnden, kalten Wasser enden. Unter
Wasser fiel es ihm noch schwerer, sich zu orientieren. Mühselig tastete er sich
an einer Bank entlang, während seine Lungen immer heftiger brannten und nach
Luft verlangten. Voller Panik hangelte er sich weiter â und griff ins Leere.
Das Fenster. Ohne Rücksicht auf die Schmerzen zog er sich ins Freie â auch wenn
ein Teil der Scherben ihm dabei seine rechte Hand und die Seite aufschnitten.
Mit letzter Kraft schwamm er zurück an die Luft,
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