Der Gesang der Maori
durchbrach mit einem Schrei
die Oberfläche des Wassers, machte drei schnelle Schwimmzüge und brach dann auf
der Sandbank, an der der Waggon hängen geblieben war, zusammen. Für einen
Augenblick hörte er nur das Rauschen des eigenen Blutes in seinen Ohren, dann
senkte sich eine tiefe, schwarze Bewusstlosigkeit auf seinen Geist.
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Es dauerte geraume Zeit,
bis die Geräusche in sein Bewusstsein drangen. Das Geschrei von ein paar
Männern, die suchenden Rufe der wenigen Helfer. Langsam hob er den Kopf und
versuchte etwas zu sehen. Wahrscheinlich war Mitternacht noch nicht lange
vorbei, so finster, wie es war.
Zwei oder drei schwankende Lampen
konnte er in der Dunkelheit ausmachen. Mehr Helfer waren offensichtlich noch
nicht am Unglücksort angekommen. Im schwachen Schein sah man einen reiÃenden
Fluss, der Unmengen von Treibholz mit sich führte und offensichtlich sein
Flussbett verlassen hatte. Wo war der Zug nur hergekommen? Langsam lieà John
seine Augen nach oben wandern â und hielt vor Schreck den Atem an. Weit über
sich erkannte John einen Waggon, der halb über dem Abgrund hing und bereits
heftig schwankte. Unwillkürlich bemühte er sich, auf alle viere zu kommen, um
dieser Gefahr zu entrinnen. Keine Sekunde zu früh: Er hatte sich gerade an das
andere Ende der Sandbank gerobbt, als der Waggon endgültig nachgab, etwa
hundert Meter von ihm entfernt ins Wasser krachte und dann gegen das Ufer
trieb. Die Lampen bewegten sich schnell auf diesen neuen Wagen zu und sammelten
sich an seiner hinteren Tür. Dort schien man helfen zu können.
Zur gleichen Zeit versank der Waggon, in dem John und Inge gereist
waren, endgültig in den Fluten. Wenn sie jetzt noch immer im Inneren war, dann
konnte er sich keine Hoffnungen mehr auf ihr Ãberleben machen. Langsam lieà er
den Kopf auf den feinen Kies sinken, der sich an seiner heiÃen Wange kühl
anfühlte. Er wollte die Hoffnung nicht aufgeben. Inge steckte so voller Lebensfreude
und Ideen für ihre Zukunft. Es konnte einfach nicht sein, dass sie so kurz vor
dem Ziel einem Unglück zum Opfer fiel. Wenn er es geschafft hatte, aus diesem
Waggon gleich zweimal herauszukommen, dann musste es auch ihr gelungen sein.
Vielleicht musste er ja nur nach ihr suchen. Doch mit einem Mal überkam ihn
eine bleierne Müdigkeit. Ganz kurz nur ausruhen, versprach er sich. Dann wollte
er weiter nach Inge suchen. Es konnte ja nicht mehr lange dauern, bis es hell
wurde. Wann war dieser Unfall überhaupt passiert? Und was war mit der Brücke
geschehen? Er konnte in dem schwachen Licht nur ein oder zwei Brückenpfeiler
erkennen â wer oder was hatte diese Brücke zerstört, damit er sein Glück nicht
festhalten konnte? Seine Gedanken wurden immer wirrer, bis ihn endlich eine
weitere gnädige Bewusstlosigkeit erlöste.
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»Hier liegt noch einer!«
John bewegte vorsichtig einen Arm,
dann den anderen. Die lauten Stimmen kamen immer näher. Was war nur passiert?
Erst langsam kam Johns Erinnerung an Wasser, Dreck, Atemnot und das
schreckliche Kreischen vor dem Unfall zurück. Hatte er das alles womöglich nur
geträumt? Er schüttelte ungeduldig den Kopf, um sich von den merkwürdigen
Gedanken frei zu machen. Eine Bewegung, die er fast sofort bereute â ihn
überfielen rasende Kopfschmerzen. Mit einer Hand tastete er nach seiner
Schläfe. Eine Beule, groà wie ein Taubenei, konnte er ertasten â und spürte bei
dieser Bewegung auch Schmerzen an der Hand und an der Seite. Vorsichtig sah er
an sich herunter. Sein Oberkörper war nackt, an der Seite hatte er einen langen
Schnitt, aus dem auch jetzt noch ein wenig Blut sickerte. Ebenso an der Hand â
aber hier war kein Blut mehr zu sehen; der Schnitt war offensichtlich nicht so
tief gewesen. Seine hellen Hosen waren zerrissen und zerschnitten, die FüÃe
nackt. Die Schuhe musste er im Laufe der Nacht verloren haben. Er zwang sich dazu,
sich vorsichtig aufzusetzen und umzusehen.
Im fahlen Morgenlicht zeigte sich das Unglück in vollem AusmaÃ.
Ãberall lagen Waggonteile, Koffer, Taschen, Körper, Polster, dazwischen Ãste
und halbe Bäume, die der reiÃende Fluss der Nacht offensichtlich mit sich
getragen hatte. Inzwischen war das Wasser in seine alten Bahnen zurückgekehrt,
vom Hochwasser der Nacht zeugten nur noch die verschlammten, verdreckten Ufer.
Wenn er sich nicht täuschte, war sogar die
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