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Der Gesang der Maori

Der Gesang der Maori

Titel: Der Gesang der Maori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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hatte. Völlig versunken in seine Gedanken hörte er nicht, wie jemand
durch den Garten näher kam.
    Â»Wie siehst du denn aus?«, rief plötzlich eine Frauenstimme
entgeistert neben ihm aus.
    John fuhr herum. Vor ihm stand eine Frau Mitte zwanzig, die
aschblonden Haare zu einem strengen Knoten zusammengefasst, der dafür sorgte,
dass sie Jahre älter aussah, als sie wirklich war. Er lachte auf, als er sie
erkannte.
    Â»Fiona! Du bist immer noch bei meinem Vater!«
    Die Haushälterin nickte. »Er behandelt mich gut und bezahlt mich
anständig. Es gibt keinen Grund, dass ich mir eine andere Stelle suche!« Sie
musterte ihn noch einmal. »Und du, mein Lieber, siehst aus, als ob dir die
letzten Monate und Jahre nicht sehr gut bekommen wären!« Sie griff nach seinen
Händen. »Erzähl mir, wie es dir ergangen ist …«
    Â»Eigentlich wollte ich nur nach Ewan sehen und dann möglichst
schnell wieder verschwinden«, entgegnete John zögernd und zog seine Hände
zurück. Wollte er wirklich Fiona sein Herz ausschütten? Die Haushälterin hatte
schon mit fünfzehn oder sechzehn bei George Cavanagh ihre erste Stelle
angetreten. Damals war er neun oder zehn Jahre alt gewesen. Sie hatte ihn ins
Bett gebracht, ihm sein Essen gekocht und seine Wäsche gewaschen. Trotzdem,
wurde ihm jetzt klar, hatte er an sie nie einen Gedanken verschwendet.
    Â»Komm erst einmal herein, und iss etwas Warmes. Du siehst nicht so
aus, als ob du regelmäßig etwas vorgesetzt bekämest. Master Cavanagh kommt
heute erst spätabends wieder nach Hause, er ist in der Reederei. Und Ewan kommt
erst in zwei Stunden aus der Schule. Er macht im Moment seinen
Highschool-Abschluss, da ist viel los, wie du dir denken kannst.
    John konnte seine Neugier nicht zügeln. »Wie geht es ihm? Ich hatte
immer ein schlechtes Gewissen, dass ich ihn einfach hier allein zurückgelassen
habe.«
    Fiona schüttelte den Kopf. »Jetzt geht es ihm gut. Er hat dich
monatelang vermisst, immer wieder gefragt, wann du endlich zurück nach Hause kommst.
Aber irgendwann hat dein Vater erklärt, dass du dich entschieden hast, zur See
zu fahren. Ewan war tief enttäuscht, dass du dich nicht verabschiedet hast.
Aber er hat sich damit abgefunden, denke ich.«
    Â»Und wie hat mein Vater erklärt, dass ich nie zu irgendeinem
Landurlaub nach Hause gekommen bin?«, fragte John mit gerunzelter Stirn nach.
    Fiona zuckte mit den Achseln. »Ewan fragt nur selten. Und Master
Cavanagh hat ihm gesagt, dass du das freie Leben als Seemann ein bisschen zu
sehr genießt – und deswegen lieber das wilde Leben in den Häfen auskostest und
nicht in das beschauliche Charteris Bay zu deinem Bruder zurückkehrst.«
    Â»So ein Blödsinn«, entfuhr es John.
    Fiona wiegte ihren Kopf ein wenig hin und her. »Ich weiß nicht. Du
bist nicht wieder nach Hause gekommen, da war die Erklärung doch so weit nicht
von der Wahrheit entfernt, oder?« Sie sah ihn noch einmal von Kopf bis Fuß an.
»Und du siehst wirklich aus wie einer von diesen jungen Menschen in Auckland
oder Wellington, von denen ich in der Zeitung gelesen habe. Sex, Alkohol und
kein Plan im Leben – so stand es da. Angeblich haben zwei Mädchen sogar ihre
Mutter umgebracht – einfach so. In der Zeitung stand, dass es daran liegt, dass
ihr Jugendlichen zu wenig Aufsicht von den Eltern habt. Die berufstätigen
Mütter sind schuld – bei euch könnte das stimmen, ihr habt ja gar keine Mutter
gehabt. Und ich bin sicher ein schlechter Ersatz gewesen.«
    Bis zu diesem Augenblick hatte John keine Sekunde an Fiona als einen
Ersatz für seine Mutter gedacht. Die Haushälterin war nie allzu herzlich zu den
Brüdern gewesen – und selbst jetzt sah sie Johns Verschwinden und die Lügen
seines Ziehvaters doch unter einem sehr praktischen Blickwinkel. Ihr
hilfreicher Einsatz bei der Reparatur des zerbrochenen Schiffsmodells war wohl
das Höchstmaß an Gefühlen gewesen, das sie zu investieren bereit gewesen war.
Er sah sie nur kopfschüttelnd an. »Du solltest nicht alles glauben, was du in
der Zeitung liest, Fiona. Die Jugendlichen haben nur keine Lust, immer nur nach
dem nächsten Kühlschrank oder einer neuen Waschmaschine zu jagen. Ihnen geht es
eben nicht nur um Besitz, sondern auch um ein Lebensgefühl.« Er schnaubte
verächtlich durch die Nase. »Aber das ist etwas, das werdet

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