Der Gesang der Maori
Er konnte
jetzt endlich auch tagsüber Spaà haben ⦠Zufrieden mit sich selbst machte er
sich auf den Weg in die Queen Street. Das einzige Problem, das er jetzt noch
hatte, war die Sache mit dem Geld. Oder vielmehr das Fehlen davon. Im Gegensatz
zu den anderen in der Gang hatte er keine Eltern, die er ständig um ein bisschen
Unterstützung bitten konnte. Da half wirklich nur Arbeit. Morgen würde er sich
darum kümmern, versprach er sich selbst.
Aber jetzt drehte er sich einfach um und trottete wieder nach Hause.
Ohne sich auszuziehen, lieà er sich auf sein Bett fallen und sank sofort wieder
in einen traumlosen Tiefschlaf. Es war schon später Nachmittag, als er das
zweite Mal an diesem Tag erwachte. Einen Moment lang sah er sich verwirrt in
seinem Zimmer um. Von drauÃen klangen die Laute eines zu Ende gehenden Tages zu
ihm. Menschen, die sich in den Feierabend verabschiedeten oder mit ihren
Einkäufen nach Hause gingen. Ein Leben, an dem er keinen Anteil hatte.
Mühselig richtete er sich auf, stellte sich vor den Spiegel und
kämmte mit reichlich Brillantine seine Haare wieder nach hinten. Er musste
unbedingt seinen Freunden von der groÃen Neuigkeit erzählen, dass er jetzt
endgültig den Job verloren hatte. Wie er die anderen kannte, würden sie ihn
sofort auf ein Bier einladen, um seine neu gewonnene Freiheit zu feiern.
Schnell schlüpfte er in die schmal geschnittenen Hosen, zog seine Lederjacke
über und stieg in die mörderisch spitzen Schuhe, die er sich erst letzte Woche
geleistet hatte. Dabei war ein groÃer Batzen von seinen Ersparnissen draufgegangen.
Die könnte er jetzt gut brauchen ⦠aber ein paar Tage lang würde er sicher
trotzdem noch durchkommen. So hergerichtet machte er sich auf den Weg in die
Queen Street. Die Milkbar war noch leer, er bestellte sich erst einmal einen
schwarzen Tee, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
AuÃer ihm war nur ein weiterer Kunde in der Bar. Dunkle Haare,
dunkle Augen, stämmige Figur â wahrscheinlich ein Maori-Mischling. Je länger er
ihn ansah, desto mehr fand er, dass dieser Gast seinem Bruder Ewan ähnlich sah
â auch wenn der garantiert kein Maori-Blut in sich trug. Was der Kleine jetzt
wohl machte? Inzwischen war er auch schon fast achtzehn. Er musste Pläne für
die Zukunft haben, seine Ausbildung ins Visier nehmen. Ob George Cavanagh es
geschafft hatte, seinen einzigen verbliebenen Sohn für die Schifffahrt zu
begeistern? Immerhin musste er doch einen Erben für seine Reederei finden,
nachdem John ihm abhandengekommen war. Oder hatte Ewan inzwischen begriffen,
dass sein Vater einen durch und durch unguten Charakter hatte, bösartig und
gewalttätig war? Wer weià â vielleicht hatte auch Ewan gegen seinen Vater
rebelliert, und der saà inzwischen ganz allein in seinem schönen Haus in Charteris
Bay. Bei dem Gedanken konnte John sich ein Lächeln nicht verkneifen.
Der Maori zahlte und ging. Gleichzeitig flog die Tür auf, und Sharon
und Frederick kamen herein â laut streitend. Offensichtlich hatten sie nichts
dagegen, dass John ihnen zuhören konnte, sie senkten ihre Stimmen keinen Deut,
als sie sich neben ihn setzten.
Frederick kochte vor Zorn. »Du hast einfach etwas mit diesem Ted
angefangen, so als ob du eine kleine Hure wärst! Das kann nicht sein, du
gehörst zu mir!«
»Und wo genau steht geschrieben, dass ich niemandem auÃer dir
gehöre? Zu deiner Information: Wir haben 1954, nicht 1854.
Ich kann mit jedem ins Bett gehen, der mir gefällt â und du kannst froh sein,
wenn du auch dazugehörst.« Sharon hob ihr Kinn und starrte ihn mit
herausforderndem Blick an.
Frederick sah sie mit flackernden Augen an. John war sich einen
Moment lang nicht sicher, ob er seine Freundin schlagen würde. Aber dann senkte
Frederick seinen Blick, winkte dem Besitzer der Bar zu und bestellte die ersten
drei Bier des Tages. Dabei klopfte er John auf den Rücken. »Dich muss ich ja
schon einladen, weil du einer der wenigen Typen bist, die es nicht auf meine
Sharon abgesehen haben. Wenn ich es mir recht überlege, dann hast du es auf
überhaupt kein Mädchen abgesehen.« Er sah ihn misstrauisch von der Seite her
an. »Bist du womöglich ein warmer Bruder?«
John schüttelte den Kopf. »Blödsinn. Ich mag nur diese Herumhurerei
nicht. Sharon gehört dir, und deswegen will ich nichts mit ihr anfangen. Und
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