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Der Gesang der Maori

Der Gesang der Maori

Titel: Der Gesang der Maori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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nicht
sein, dass du mich immer besuchen kannst, wenn dir gerade der Sinn danach steht
– und ich habe keine Ahnung, wo du dich herumtreibst. Das ist doch nicht
gerecht!«
    Â»Leider …«, fing John bedauernd an – aber Ewan winkte ab.
    Â»Ich weiß schon. Du weißt leider nie, wohin dich dein Lebensweg
treibt. Mich treibt das Schicksal nur zur Shipping Company, da bin ich
jederzeit zu finden …« Er hatte sich nach seinem kleinen Ausbruch wieder im
Griff. Trotzdem sah er John bittend an. »Lass dir wenigstens nicht zu viel Zeit
zwischen deinen Besuchen, okay?« Endlich nahmen sich die Brüder in die Arme.
Ewan sah auf die Uhr und schob John in Richtung Tür. »Du musst jetzt gehen,
bald kommt Vater nach Hause, und ich kann mir denken, dass er alles andere als
erfreut ist, dich hier in der Küche zu sehen. Ich habe das Gefühl, ihm gefällt
die Geschichte vom Seemann, der irgendwo in den Häfen festhängt, fast am besten
…« Ewan musterte seinen Bruder noch einmal. »Und wenn ich ehrlich bin, dann ist
er nicht so wahnsinnig weit von der Wirklichkeit entfernt. Bodgie in Auckland.
Darauf wären wir nicht gekommen.«
    Â»Das kann ich mir vorstellen«, nickte John, ohne weiter auf die
Bemerkung einzugehen. Noch eine kurze Umarmung, und schon stand er wieder vor
der Tür, huschte durch den Garten, schob sich durch das angelehnte Tor und lief
die Straße wieder herunter. Als ihm ein Stück weiter ein teures, dunkles Auto
entgegenkam, konnte er einen kurzen Blick auf George Cavanagh werfen. Die
dunklen Haare hatten ein paar graue Strähnen, aber ansonsten sah er so aus wie
in seiner Erinnerung. Schlank, athletisch, ein etwas verkniffener Mund und sehr
zielbewusst. Er sah nicht nach rechts und nicht nach links – und nahm deswegen
auch seinen Ziehsohn am Straßenrand nicht wahr. So wie man es von dem Gründer
einer Reederei wohl erwartete.
    John sah dem Wagen hinterher. Ewan wirkte nicht unglücklich. Etwas
verwirrt, wütend auf seinen verschwundenen Bruder und unsicher, ob er den für
ihn geplanten Weg wirklich einschlagen sollte. Alles nicht ungewöhnlich für
einen Achtzehnjährigen. Um Ewan musste er sich fürs Erste wohl keine Sorgen
machen.
    Entschlossen machte John sich wieder auf den Rückweg nach Auckland.
Dank Ewans Geld konnte er sich dieses Mal auch ein Busticket kaufen – morgen
würde er wieder in seiner Wohnung sein, dann konnte er auch die Miete für die
nächste Woche bezahlen. Alles würde gut werden. Ganz bestimmt.

AUCKLAND, FEBRUAR 1955

    12.
    Â»Wo hast du denn
gesteckt?« Maureen schlang die Arme um John, als ob er ein lang vermisster Liebhaber
wäre. Inzwischen waren sie schon fast ein Jahr befreundet – und immer noch
versuchte sie, ihn von ihren Vorzügen zu überzeugen.
    Â»Ich habe meinen kleinen Bruder auf
der Südinsel besucht«, erwiderte er wortkarg. Er hatte bisher nicht erklärt, wo
seine Familie lebte, und wollte jetzt nicht damit anfangen.
    Â»Ist er so niedlich wie du? Dann musst du ihn mir unbedingt
vorstellen.« Sie drängte sich etwas enger an ihn. Zum ersten Mal überlegte John
sich, ob er sie nicht doch einmal küssen sollte. Was hatte er schon von seiner
ewigen Treue zu Inge? Die lag in einem Massengrab in Tangiwai, zusammen mit ihren
zerstörten Träumen. Aber irgendwie fühlte es sich immer noch wie Verrat an.
Entschlossen schob er Maureen zur Seite.
    Â»Blödsinn. Mein kleiner Bruder ist viel zu gut für dich. Der Streber
der Familie, der Erbe des Unternehmens. Kein Spielzeug für Mädchen wie dich,
Maureen.« Er hatte es genauso gemeint, wie er es gesagt hatte. Aber einen
winzigen Moment lang bereute er die Grobheit. Maureen wirkte verletzt.
    Nur einen Wimpernschlag später schüttelte sie dieses Gefühl ab und
lachte wieder. »Unternehmen? Und ich dachte immer, dass du aus einer Familie
von ganz armen Schluckern kommst! So kann man sich täuschen …« Sie redete so
laut, damit alle sie hören konnten. Aber Frederick und Sharon waren wieder
einmal in eine ihrer endlosen Auseinandersetzungen verstrickt, und die anderen
sahen sich lieber ihr Bierglas an, als dass sie sich über Maureens neue
Erkenntnis ereifern würden. Sie stampfte enttäuscht auf den Boden auf.
    Â»Mit euch ist auch nichts mehr los. Saufen, streiten und sonst
nichts. Muss ich mir neue Freunde suchen?«
    Â»Mit mir willst du

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