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Der Gesang der Maori

Der Gesang der Maori

Titel: Der Gesang der Maori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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ihr wohl niemals
nachvollziehen können.«
    Â»Vielleicht will ich das auch nicht. Ich finde es schön, wenn ich
ein bisschen Sicherheit habe. Dein Lebensgefühl ist etwas, das wohl nur für
Kinder von reichen Familien wichtig ist, oder?« Sie sah ihn aus ihren blassen,
blauen Augen fragend an. Und John musste sich eingestehen, dass er keine Ahnung
hatte, woher Fiona eigentlich kam oder welche Pläne sie haben mochte. Fiona war
nur immer dafür da gewesen, Müll wegzuräumen, Essen zu machen und die Kleidung
zu waschen. Er räusperte sich ein wenig verlegen.
    Â»Das mag sein, Fiona. Aber es muss doch mehr im Leben geben als eine
Waschmaschine, oder nicht? Es kann so schnell vorbei sein, da sollte man seine
Zeit doch nicht mit Nichtigkeiten verbringen …«
    Â»Und was machst du, wenn es denn keine Nichtigkeiten sind?« Ihre
Frage war ehrlich gemeint, das merkte John.
    Â»Ich verbringe meine Zeit mit Freunden. Wir haben Spaß. Wir sind
offen für alles Neue«, erklärte er. Es klang in dieser Sekunde in seinen Ohren
ziemlich überzeugend.
    Fiona nickte nur und winkte ihm zu, ihr zu folgen. »Komm jetzt mit
in die Küche. Du bist dünn geworden.«
    Sie gab ihm kalten Braten und knuspriges, frisch gebackenes Brot.
Dazu ein paar frische Tomaten und einige Scheiben Gurke – und John kam es vor,
als ob er niemals etwas Köstlicheres gegessen hätte. Er aß seinen Teller bis
auf den letzten Krümel leer, unterdrückte das Verlangen, Fiona um ein Bier zu
seinem Essen zu bitten. Sie sah ihm schweigend zu, schnitt eine weitere Scheibe
von dem Braten ab und legte sie auf seinen Teller. Erst als er alles gegessen
hatte, fragte sie noch einmal nach. »Wie ist es dir ergangen, John?«
    Er biss sich auf die Lippen. »Mir geht es gut!«, meinte er. Es klang
trotzig.
    Â»Wenn du das sagst, dann muss ich dir wohl glauben«, antwortete
Fiona. Ihre Stimme klang enttäuscht. Ohne ein weiteres Wort setzte sie einen
Teekessel auf, räumte ihre Küche auf und wusch das Geschirr ab. Dann stellte
sie John die große Teetasse hin, die er in seiner Kindheit immer benutzt hatte.
»Immer noch mit einem Schluck Milch?«, fragte sie beiläufig. John nickte. Unglaublich,
dass diese Frau sich das gemerkt hatte. Dann tranken sie schweigend das
dampfende Getränk. Gerade als John die Stille schon fast nicht mehr aushielt,
hörte er, wie die Eingangstür ins Schloss fiel – und wenig später die Schritte
seines Bruders im Flur. Er sprang auf.
    Ewan kam in die Küche, begrüßte unbefangen Fiona – und bemerkte erst
dann den Besucher am Küchentisch. Er erstarrte. John machte einen Schritt auf
ihn zu, um Ewan in die Arme zu schließen. Doch der sah ihn unverwandt an und  machte unauffällig einen Schritt nach
hinten.
    Â»Da bist du also«, meinte er schließlich mit tonloser Stimme.
    Â»Ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten. Ich musste unbedingt
sehen, wie es dir geht!«, sagte John.
    Â»Du hast es lange genug geschafft, diesen Wunsch zu unterdrücken,
oder etwa nicht?« In Ewans Stimme war der Schmerz über den Verlust seines
geliebten Bruders zu hören. Fiona verließ unauffällig die Küche, um die beiden
Brüder ungestört zu lassen.
    Â»Ich konnte nicht vorher kommen«, erklärte John. »Ich war in Europa.
Ich habe meine Mutter gesucht. Erinnerst du dich nicht? Unser Vater hat doch
gesagt, dass ich gar nicht die gleiche Mutter habe wie du! Da musste ich doch
sehen, warum sie mich hier in Neuseeland im Stich gelassen hat.«
    Â»Und? Hast du sie gefunden?« Ewans Stimme war immer noch kühl.
    Â»Ja, aber das ist eine lange Geschichte. Ich bin wieder abgereist,
ohne ihr zu sagen, wer ich bin. Habe nicht einmal mit ihr geredet.« John zuckte
mit den Achseln, bemühte sich um eine überlegene Miene. »War wahrscheinlich
auch besser so.«
    Â»Du bist um die halbe Welt gereist und hast zwei Jahre damit vertan,
jemanden zu finden, mit dem du dann doch nicht geredet hast?« Ewan klang ungläubig.
»Und dann bist du nach Hause gekommen und hast noch ein paar Monate auf dieses
völlig lächerliche Aussehen verwendet – und jetzt kommst du einfach so aus
heiterem Himmel wieder und erwartest, dass ich vor Begeisterung ohnmächtig werde?
Lieber Bruder, das wird wohl kaum passieren!«
    John war einen Moment lang fassungslos. Sein kleiner Bruder war
offensichtlich

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