Der Gesang der Maori
innerhalb von Sekunden einschlief. Er bekam
nicht mehr mit, dass Maureen zärtlich seinen Rücken streichelte und dann erst
bemerkte, dass er leise schnarchend auf ihr lag. Mit einem leisen Fluch rollte
sie ihn zur Seite, sah ihn noch einmal an, während sie ihn mit der Spitze ihrer
Pumps wenig vorsichtig in die Seite trat. Er rührte sich immer noch nicht.
Maureen schob ihren Rock nach unten und machte sich auf den Weg Richtung
Eingang.
»Und morgen erinnert er sich an nichts, dieses Schwein!«, murmelte
sie vor sich hin, während sie über Staub und Stützbalken leicht schwankend davonging.
John blieb reglos im Dreck liegend zurück.
Irgendwann wurden die Geräusche der Menschen leiser. Das Flutlicht
erlosch, die Pferde kamen wieder in ihre Ställe, mit einem lauten Knall
schlossen sich die Läden an den Totalisatoren. John merkte nichts. Stunde um
Stunde schlief er, bis das erste Licht der Dämmerung durch die Ritzen drang und
den neuen Tag ankündigte.
Eine schmale, dunkle Gestalt kam durch den engen Eingang unter die
Tribünen, nahm einen groÃen Korb und fing an, ihn mit dem Unrat zu füllen, der
durch die Tribünenbretter nach unten gefallen war. Während ganz allmählich
immer mehr einzelne Lichtstreifen an den düsteren Ort drangen, fing sie an, ein
Lied zu summen. Es klang wie das Rauschen am Strand des Pazifiks, langsam
ansteigend und wieder fallend. Irgendwann öffnete sie ihren Mund und fing an zu
singen, hell und klar und geradezu unwirklich schön. Vom Meer und von den
Menschen, von einem Wal, der die Menschen trug und der sich seine Menschen
erwählt hatte. Es klang wie ein friedliches Wiegenlied, ein Gesang aus einer
ruhigeren Zeit im unendlichen Werdegang der Erde.
Ihr Gesang drang nur langsam durch den Alkoholnebel, der Johns Sinne
umwaberte. Anfangs baute er ihn in seinen Traum ein, phantasierte von einer
wunderbaren Frau, die ihm den ersehnten Frieden in die Seele singen konnte.
Erst allmählich drang die Wirklichkeit in sein Bewusstsein. Der dreckige,
staubige Boden, auf dem sich die Zigarettenkippen von der Tribüne darüber
sammelten. Sein dreckiges Hemd mit den geöffneten und abgerissenen Knöpfen, das
seine ganze Brust entblöÃte. Einen Augenblick später wurde ihm klar, dass seine
Hose bis zu den Knöcheln heruntergeschoben war. Hektisch wollte er sie
hochziehen â in diesem Augenblick erreichte die Sängerin die Ecke, in der er
lag. Ihr wundervoller Gesang verstummte mit einem Mal.
Unverwandt sah sie ihn an. Ein feines, dunkles Gesicht mit
tiefschwarzen Augen und einer unglaublichen Menge schwarzer Locken die sich um
ihren Kopf ringelten und ihr weit über den Rücken fielen, wo sie von einem
ausgewaschenen roten Band lose zusammengehalten wurden. Schmale, zierliche
Hände, die aus dem rot-schwarzen Flanellhemd ragten, das sie sich für die Arbeit
übergezogen hatte. Ein Augenblick, der John wie eine Ewigkeit vorkam, verging.
Dann schüttelte sie den Kopf. »Was tust du nur deinem Körper an? Wie
kann deine Familie es ertragen, dich überhaupt noch anzusehen â und spuckst du
nicht jedes Mal aus, wenn du dein eigenes Gesicht im Spiegel sehen musst? Das
Leben ist so wunderbar und so einmalig â und du wirfst es einfach weg. Das ist
so erbärmlich.« Als wollte sie ihren Worten Nachdruck verleihen, nickte sie
noch einmal, dann machte sie einfach ihre Arbeit weiter. Ignorierte schlicht, dass
er dort lag, in einer entwürdigenden und peinlichen Art. Sie fing sogar wieder
an zu singen, während sie all die achtlos weggeworfenen Wettscheine und
Essensreste aufsammelte. Ihrer Laune und ihrer Würde konnte diese Arbeit
offensichtlich nichts anhaben.
John rutschte unauffällig noch tiefer in die dunkle Ecke, zog seine
Hose hoch und hielt das Hemd geschlossen, während er in Richtung Ausgang
huschte. Gleichzeitig fuhr seine Hand prüfend in die Hosentasche. Kein einziger
Penny war mehr dort, und er war sich nicht einmal sicher, ob Maureen ihm die
letzten Pfund geklaut hatte oder ob er wirklich alles beim Totalisator gelassen
hatte. Auf jeden Fall hatte er die Ersparnisse von Ewan in einer einzigen Nacht
durchgebracht, nichts war mehr übrig.
In der kühlen Morgenluft wurde ihm erst einmal übel. Er übergab sich
hinter einem dicken Pohutukawa-Baum und setzte dann mit unsicheren Schritten
seinen Weg in Richtung Innenstadt fort. Die Melodie der zierlichen
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