Der Gesang der Maori
er ab. »Ich trinke nicht«, erklärte
er. »Ich wäre nur eine SpaÃbremse. Wenn ihr irgendwann jemanden braucht, der
auf euch aufpasst und Limonade trinkt, dann gebt Bescheid!«
Der Hilfsarbeiter sah ihn lange an, in seinem Gesicht zeigte sich so
etwas wie Respekt. Dann murmelte er: »Eine gute Entscheidung, wenn man feststellt,
dass man mit diesem Zeug nicht gut umgehen kann.« Als er sich mit einem letzten
Winken zum Gehen wandte, war John fast sicher, dass dieser Mann viel von seiner
Geschichte ahnte oder wusste â aber seinen neuen Weg respektierte. Er machte
sich auf den Weg nach Hause. Es wurde Zeit, etwas zu essen â und dann zu
schlafen. Seine neuen Arbeitstage fingen früh an â¦
MATAMATA, 1998
13.
Matiu schirmte seine Augen
mit der Hand ab und spähte in Richtung des Eingangs. Das Filmgelände war strikt
gegen die Blicke aller Neugierigen geschützt, der Regisseur wollte das
Geheimnis um das Aussehen seiner Drehorte nicht zu früh lüften. Trotzdem gab es
immer ein paar unbeirrbare Fans der »Herr der Ringe«-Bücher, die vor den Toren
kampierten und darauf hofften, wenigstens einen winzigen Einblick in diese neu
entstehende Welt zu erhaschen.
Dem jungen Maori ging es allerdings
nicht um die Fans. Er war vielmehr gespannt, ob heute wirklich diese junge
deutsche Journalistin auftauchen würde. Sie hatten sich zwar vor einer Woche
verabredet, aber womöglich hatte sie inzwischen eine spannendere Story für ihre
Zeitschrift entdeckt. Matiu musste sich eingestehen, dass ihn das wirklich
enttäuschen würde. Er mochte ihre lebhafte Art und ihre Begeisterung, die sie
den Dingen entgegenbrachte.
Wieder blinzelte er gegen die Sonne. Am Tor tauchte jemand in Jeans
und einem weiÃen T-Shirt auf â und Sekunden
später summte sein Walkie-Talkie, das jeder Mitarbeiter auf dem Gelände tragen
sollte. »Te Whia, Besuch für dich!«, schnarrte der Wachmann. Matiu war sich nie
sicher, ob das Gerät diesen schnarrenden Ton erzeugte oder ob der Mann in
Uniform der Meinung war, dass man mit diesem merkwürdigen, künstlichen Ton in
die Dinger hineinsprechen sollte. Er drückte auf den Knopf. »Bin schon
unterwegs!«
Damit machte er sich auf den Weg. Als er etwas näher kam, konnte er
sehen, dass sie ebenfalls unruhig nach ihm Ausschau hielt. Lächelnd ging er auf
sie zu.
»Hi! Schön, dass du da bist. Ich habe schon befürchtet, dass du in
der Stadt hängen bleibst und mich hier in meinem Provinznest vergisst!«
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich bin nicht der Typ für
groÃe Städte. AuÃerdem kann ich in Auckland schwerlich recherchieren, wie es
mit einem der gröÃten Projekte der Filmgeschichte vorwärtsgeht, oder?«
»Na, wenn es das ist, was du willst â¦Â« Matiu machte eine einladende
Geste, die das gesamte Gelände umschloss. »Dann willkommen in meinem Reich.
Oder anders: Willkommen in Hobbingen!«
Katharina zückte ihre Kamera und hob fragend eine Augenbraue. »Darf
ich überhaupt Bilder machen?«
Matiu nickte. »Ja. Ich habe das mit den Chefs abgeklärt. Aber du
musst leider alle Bilder vor der Veröffentlichung vorlegen. Sie wollen nicht,
dass irgendetwas in die Presse gerät, das die perfekte Illusion zerstören
würde. Obwohl das hier ziemlich schwer wäre. Hobbingen ist fast schon so, wie
die Designer es sich ausgedacht haben â¦Â«
Sie bogen um einen letzten Zaun, der als Sichtschutz diente, und
standen vor einer lieblichen Landschaft mit kleinen Wegen und grünen Hügeln mit
Türen. Katharina hielt für einen Moment den Atem an. »Hier kann man sich ja
wirklich vorstellen, dass jede Sekunde ein Hobbit um die Ecke kommt!«, rief sie
aus.
Matiu nickte und zog sie weiter. »Warte nur, bis du die Häuser von
innen siehst. Oder den Platz, auf dem irgendwann nächstes Jahr das groÃe Fest
der Hobbits stattfinden soll â¦Â«
Die nächsten Stunden verbrachten sie damit, zwischen den kleinen
Hügeln umherzulaufen, über die sich das grüne Gras wie ein weicher Teppich
legte. Katharina schüttelte immer wieder den Kopf, wenn sie sah, mit wie viel
Liebe zum Detail die Welt aus »Herr der Ringe« zum Leben erweckt worden war.
Und Matiu war so stolz auf das Gelände, als hätte er jeden einzelnen Grashalm
persönlich gepflanzt.
»Wo werden denn noch andere Szenen gedreht?«,
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