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Der Gesang der Maori

Der Gesang der Maori

Titel: Der Gesang der Maori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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er sich ans Werk, achtete nicht auf das Gerede der anderen Angestellten,
die sich über irgendetwas angeregt unterhielten. Erst bei der kurzen Pause am
Vormittag, bei der alle ihren Kaffee tranken, stellte er sich unauffällig
daneben.
    Â»Diese Kids aus der Milkbar haben
doch noch nie etwas Gutes vorgehabt! Immer nur Spaß und bloß nicht arbeiten …
das ist echter Abschaum. Es wird Zeit, dass die Regierung etwas gegen diese
Kids unternimmt, bevor das noch völlig aus dem Ruder läuft!«, erklärte einer
der Älteren im Brustton der Überzeugung.
    John runzelte die Stirn. Wussten sie von seiner Vergangenheit und
wollten ihn mit dieser Bemerkung dazu bewegen, etwas zu sagen? Aber sie
beachteten ihn kaum, waren viel zu sehr ins Gespräch vertieft.
    Â»Da waren doch erst vor ein paar Monaten diese Mädchen, die ihre
Mutter umgebracht haben – und jetzt schlachtet dieser Möchtegernrebell seine Exfreundin
ab? Angeblich wollte sie sich von ihm schon seit Wochen trennen, und er hat das
einfach nicht verkraftet …« Der Hilfsarbeiter schüttelte den Kopf. »Ich meine,
jeder weiß, dass das in anderen Gegenden der Welt passiert. Aber doch nicht bei
uns, in Auckland!«
    John räusperte sich. »Ich habe noch gar keine Nachrichten gehört.
Was ist denn passiert?« Seine Stimme klang belegt, das hörte er selbst.
    Â»In einer Milkbar in der Queen Street hat ein Junge, einer von
diesen Bodgies, seine Freundin erstochen. Mit dem Messer! Sie hat wohl noch
eine halbe Stunde gelebt, dann ist sie elendig verblutet! Keiner von ihren
sogenannten Freunden hat einen Arzt gerufen – angeblich wollten sie keinen
Ärger mit der Polizei. Das liegt wohl alles daran, dass die heutige Jugend
keinen Halt mehr hat. Mutter und Vater arbeiten – das sorgt für viel Geld. Aber
keiner hat mehr Zeit, sich um die Erziehung der Kinder zu kümmern. Und es sieht
so aus, als ob wir jetzt allmählich die Quittung dafür präsentiert bekämen. Man
darf seine Kinder eben nicht allein lassen!«
    John war fassungslos. Er bemühte sich, ein möglichst unbeteiligtes
Gesicht zu machen, als er noch einmal fragte: »Weiß man, wie das Opfer hieß?«
    Der Hilfsarbeiter nickte eifrig. »Eine Sharon Soundso. Und der
Mörder stand noch mit dem Messer in der Hand über ihr. Der heißt Frederick
Foster. Das Schwein wird wohl den Knast lange nicht mehr verlassen …«
    John konnte nur nicken. In seinem Kopf wirbelten die Gedanken
durcheinander. Ohne die singende Maori wäre er gestern wie an jedem anderen
Abend des letzten Jahres zu seinen Freunden gegangen. Und wer weiß, was
passiert wäre, wenn er auch dort gewesen wäre. Vielleicht wäre Sharon noch am
Leben. Vielleicht wäre er aber auch selbst tot, bloß weil er sich vor Sharon gestellt
hätte. Benommen schüttelte er den Kopf – eine Bewegung, die die anderen als
eine Geste des Entsetzens begriffen.
    Der Hilfsarbeiter musterte ihn kurz und fragte dann: »Wie heißt du
denn? Was hast du bisher gemacht?«
    Dankbar für die Möglichkeit, das Thema zu wechseln, erklärte John
seine letzten Monate – dabei ließ er natürlich die Milkbar unter den Tisch fallen.
Er redete lieber von Hilfsjobs, auch wenn es in der Realität nicht wirklich
viele gewesen waren. Innerhalb weniger Minuten hatte er das Gefühl, dass seine
neue Kollegen ihn in ihrer Mitte willkommen hießen. Er begann sich zu
entspannen.
    Allerdings wurde er für den Rest des Tages den Gedanken an Sharon
nicht mehr los. Ihren Zorn, wenn sie mit Frederick immer wieder gestritten hatte.
Fredericks geballte Fäuste, als er am frühen Abend in die Bar hineingesehen
hatte. Die Lässigkeit, die ihn an dieser Gruppe so angezogen hatte, die
Leichtigkeit, mit der sie über Probleme und Karriere gelacht hatten. Der Rock’n’Roll, zu dem sie die Nächte durchgetanzt hatten. Wann genau war dieses
leichte Lebensgefühl dem der Brutalität gewichen? Er hatte die Geschichte von
den beiden Mädchen, die ihre Mutter umgebracht hatten, immer mit einem
Achselzucken abgetan. Jetzt musste er zugeben, dass die Gewalt sich auch in die
Milkbar gedrängt hatte. Er hatte es nur nicht gemerkt, nicht merken wollen.
    Es wurde Abend, und John hatte wie im Flug seinen ersten Arbeitstag
hinter sich gebracht. Als die anderen Arbeiter ihn aber noch zu einem Bier in
eine der Kneipen am Hafen einluden, winkte

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