Der Gesang der Orcas
Beerdigung nicht mehr getan hatte. All der angestaute Schmerz brach sich ungehemmt die Bahn, bis das Kissen unter meinem Gesicht ganz nass war.
Erst als keine Tränen mehr kamen und ich wieder ruhiger wurde, spürte ich die warme Hand, die auf meinem Rücken lag. Es war Javid, der neben mir auf dem Bett saÃ,ohne etwas zu sagen. Wie lange er wohl schon da war? Erschrocken setzte ich mich auf und drehte mein Gesicht von ihm weg. Verheult sah ich noch furchtbarer aus als sonst und diesen Anblick wollte ich ihm nicht zumuten.
»Willst du darüber reden?«, fragte er, wie es die verständnisvollen Männer im Film auch immer taten. Ich schüttelte brüsk den Kopf.
»Soll ich lieber wieder gehen?«
Ich zuckte die Achseln und fing erneut an zu schluchzen. Es war schrecklich, aber ich konnte es nicht aufhalten. Ich wollte nicht, dass er mich weinen sah, aber dass er wieder ging, wollte ich auch nicht.
»Hey, schon gut. Ich bin ja da.« Er strich tröstend über meinen Rücken. »WeiÃt du, Copper«, hörte ich ihn sagen, »ich mag dich so, wie du bist, wirklich. Aber dass du so dünn bist, hat mir Angst gemacht. Ich war sauer, weil ich einen Moment lang dachte, du würdest absichtlich nichts essen. Nun weià ich, dass es nicht so ist. Gestern Abend, da hast du ganz schön reingehauen.«
Ich hörte auf zu schluchzen. »Hat deine Mutter dich geschickt?«
»Meine Mutter?« Seine Frage klang so verblüfft, dass ich aufsah. Mit dem Ãrmel wischte ich über mein nasses Gesicht, was zwar nicht viel helfen würde, aber nun konnte ich wenigstens wieder klar sehen. Javid kniete sich auf das Bett, zog mich an sich heran und hielt mich einfach fest. »Warum machst du es dir bloà so schwer, Copper?«
»Weià nicht«, schniefte ich verlegen. »Vielleicht kann ich einfach nicht anders.«
»Das ist Unsinn«,brummte er und schob mich ein Stück von sich weg. »WeiÃt du, man kann sich eine Menge einreden, aber den Schmerz nicht, der ist immer echt. Trau dich einfach und lass ihn zu.«
»Meine Mutter«, sagte ich, »sie fehlt mir so.« Ich weinte nicht mehr.
»Du hast sie ja auch gerade erst verloren«, entgegnete Javid. »Was erwartest du eigentlich?«
»Wird es jemals anders?«, fragte ich ihn.
Er nickte mit zusammengekniffenen Lippen. »Irgendwann kommst du besser damit zurecht, glaub mir. Aber ein bisschen liegt es auch an dir selbst.«
Ich sah Javid fragend an.
»Wenn dir erst wirklich klar geworden ist, dass du sie nicht zurückholen kannst, egal, wie sehr du es dir wünschst, dann fängst du an nach vorn zu schauen und dein eigenes Leben zu führen. Vielleicht ist es ein anderes, als du es haben würdest, wenn sie noch da wäre, aber es ist dein Leben, Sofie. Deine Mutter würde nicht wollen, dass du so traurig bist.«
Dieser Spruch war mächtig abgedroschen, aber Javid lieà ich ihn durchgehen. Ich war froh, dass er mich nicht mehr ignorierte, auch wenn ich mich dafür schämte, dass er mich so verheult, so schwach gesehen hatte.
Er fand das verknitterte Foto auf dem Bett und nahm es. »Ist sie das?«
Ich nickte.
»Sie war hübsch.«
»Ich weië, sagte ich und nahm das Foto zurück. Sie hat es nicht weitervererbt, dachte ich. Vielleicht dachte Javid gerade dasselbe.
»Dein Vater ist zur ehemaligen Ausgrabungsstätte gefahren«,sagte er nach einer Weile. »Warum bist du nicht mitgegangen? Cape Alava ist sehr interessant.«
Ich versuchte unbemerkt meine Tränen zu trocknen. »Er ist mit dieser Reporterin gefahren«, brummte ich.
Javid musterte mich. »Diese Reporterin heiÃt Lorraine und ist gut drauf. Ich kenne einige ihrer Artikel. Sie engagiert sich stark für den Umweltschutz.«
»War sie auch da, als ihr den Wal gejagt habt?«, fragte ich provozierend.
»Ja.« Er nickte ernst. »Aber sie hat sich nicht eingemischt. Ihre Reportage war die sachlichste. Ich finde es cool, dass Lorraine Cook in unserem Motel wohnt. Sie ist eine tolle Frau.«
Darauf sagte ich nichts. Javid brauchte nicht zu wissen, dass ich auf Lorraine eifersüchtig war. Vermutlich würde er es nicht verstehen.
»Ich habe jetzt übrigens die Muster für das Kanu fertig«, eröffnete er mir schlieÃlich und nun fiel mir auch auf, wie übernächtigt er aussah. »Wenn du heute nichts anderes vorhast, könnten wir
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