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Der Gesang der Orcas

Der Gesang der Orcas

Titel: Der Gesang der Orcas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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so gezögert mich mit in seinen Schuppen zu nehmen. Wahrscheinlich hatte er gedacht, ich würde es nicht verstehen, weil ich weiß war. Ich verstand es auch nicht. Mir blieb nichts anderes übrig, als es einfach zu akzeptieren. Das gehörte zu den Lektionen, die ich langsam, aber sicher lernte. Javid lebte in zwei Welten, einer sichtbaren und einer unsichtbaren. Und die eine war für ihn so real wie die andere.
    Â»Es gibt da ein paar Dinge, die ein Kanubauer besser einzuhalten hat, solange er an seinem Kanu arbeitet«, bemerkte er mit verhaltener Stimme. Mir schien, als hätte er neuen Mut gefasst, und ich sah ihn aufmunternd an, damit er weitererzählte. »Mein Vater hat sich nicht mehr die Haare gekämmt, während er den Einbaum mit der Axt bearbeitete, aus Angst, das Ende des Kanus könne sich spalten. Dad hatte kurze Haare«, sagte Javid traurig lächelnd, »da war es nicht so schlimm.«
    Â»Das ist eine seltsame Regel«, bemerkte ich.
    Â»Ja, davon hatten unsere Vorfahren eine Menge. Eine andere besagt, dass ein Mann keusch bleiben muss, während er an einem Kanu baut. Sonst verrottet es, bevor er es zu Wasser lassen kann.« Javid redete mit mir, vermied es aber, mich dabei anzusehen.
    Ich schluckte. »Und«, fragte ich, »haltet ihr euch heute noch an diese alten Regeln?«
    Er zuckte die Achseln und setzte seine Arbeit am Kanu fort. »Mein Vater hat sich daran gehalten. Er war ein Nachfahre von mächtigen Walfängern und sehr traditionell erzogen. Vor der Waljagd musste er fasten und kalte Meeresbäder nehmen. Das hat er getan, obwohl es nicht ungefährlich war.«
    Â»Aber was ist mit dir, Javid? Wenn dein Vater Nachfahre von mächtigen Walfängern war, dann bist du es auch.«
    Â»Kommt darauf an, wie viel ich weiß und wie wichtig mir eine Sache ist. Manchmal ist es besser, man hält sich an die Traditionen.« Er verfiel in Schweigen. Sein geistesabwesender Blick beunruhigte mich gewaltig.
    Â»Wirst du auch eines Tages Wale jagen?«, fragte ich schließlich.
    Javid hörte auf anzuzeichnen und sah mich an. »Ich weiß es nicht, Copper. Das ist eine schwierige Frage, die ich mir auch immer wieder stelle, seit mein Vater tot ist. Davor war es keine Frage für mich, sondern ein Versprechen. Ich würde Walfänger werden, wie er. Meine Vorfahren waren Walfänger und ich habe dieses Privileg geerbt.«
    Â»Privileg?« Das Wort löste ein seltsames Unbehagen in mir aus und den Wunsch nach noch mehr Fragen. Aber würde Javid sie mir auch beantworten können?
    Er seufzte laut. »Willst du das wirklich alles wissen, Copper? Wirst du mir immer noch mehr Fragen stellen?«
    Ich nickte.
    Â»Dann lass uns draußen ein Stück laufen, okay?«

16. Kapitel
    D er Regen hatte aufgehört, trotzdem war der salzige Wind, der vom Meer herüberwehte, unangenehm feucht. Wir liefen am Strand entlang, die Gesichter dem Wind abgewandt, und Javid erklärte mir die alte Stammesordnung der Makah.
    Â»Früher einmal hat es in unserem Volk drei verschiedene Ränge gegeben«, sagte er. »An erster Stelle standen die Häuptlinge, die in den meisten Fällen auch Walfänger waren. Walfänger besaßen besonderes Wissen und besondere Fähigkeiten, aus diesem Grund hatten sie auch besondere Rechte. Weil sie dazu in der Lage waren, einen Wal anzulocken und zu töten, konnten sie ihr Volk mit Nahrung versorgen und ihm Sicherheit geben. Deshalb gebührte ihnen der oberste Rang. Als Nächstes kamen die einfachen Leute, die sich ihr Überleben mit anderen Fertigkeiten sicherten. Sie waren gute Jäger oder Fischer. Sie waren Korbflechter und Schnitzer. Die Geringsten waren die Sklaven. Sklaven wurden auf Kriegszügen erbeutet. Sie wohnten mit im Haus ihrer Besitzer und mussten alle niedrigen Arbeiten verrichten. Sie hatten überhaupt keine Rechte.«
    Ich dachte daran, was mein Vater mir erzählt hatte. Instinktiv fasste ich nach Javids Hand. »Im Museum habe ich etwas gesehen, eine verzierte Steinkeule. Auf dem Schild darunter stand: Sklaventöter.« Ich blieb stehen und sah ihn fragend an. »Das verstehe ich nicht.«
    Javid drehte sich zu mir um und der Wind wehte ihm die Haare über das Gesicht. »Wir Makah waren kein armes Volk, Copper. Das Meer gab uns alles, was wir brauchten. Was wir nicht selbst herstellen konnten, tauschten wir bei anderen Stämmen ein. Wenn unsere

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