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Der Gesang des Blutes

Der Gesang des Blutes

Titel: Der Gesang des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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erschöpft.
    Robert packte das Star-Tron aus. Man konnte es mittels verstellbarer Gummibänder fest vor dem Gesicht tragen, doch Robert hielt es sich nur vor die Augen und schaltete es ein. Sofort gab es ein anschwellendes, leises Fiepen von sich, mit dem das Sichtfeld langsam heller wurde. Zwar machte selbst dieses hochentwickelte Gerät die Nacht nicht zum Tag, doch reichte es aus, alles einigermaßen, wenn auch nur in Grüntönen, erkennen zu können. Robert schwenkte langsam von rechts nach links, konnte die Hütte jedoch nicht finden. Aber in dem langen Gras hinter der Schranke sah er eine Spur; ganz so, als sei vor nicht allzu langer Zeit dort ein Auto gefahren. Er schaltete das Gerät ab und ließ es um seinen Hals baumeln.
    «Da vorn sind Reifenspuren. Vielleicht sollten wir denen einfach folgen. Radduk wird kaum zu Fuß hier heraufgekommen sein.»
    Sven erwiderte nichts, er folgte ihm einfach. Schon während des Marsches war sein sonst nicht enden wollender Wortschwall wie abgeschnitten gewesen.
    Die Spur führte auf einem stetig schmaler werdenden Weg weiter in das langgestreckte Tal. Sven erklärte, dass es eine Sackgasse sei, und wenn ihn seine Erinnerung nicht täusche, befände sich die Hütte am Ende dieser Sackgasse. Bald standen die Kiefern so dicht, dass sie einen stockfinsteren Tunnel bildeten, durch dessen Kuppel nicht ein Stern zu sehen war. Sie folgten dem Tunnel. Nachdem er mehrere Wendungen genommen hatte, öffnete er sich und gab den Blick frei auf eine kleine Lichtung.
    Da war sie – die Hütte.
    Robert sah sie sofort, weil aus dem vorderen Fenster Licht schien. Wortlos verließen sie den Weg, hockten sich an den Rand des Waldes, und Robert hielt erneut das Nachtsichtgerät vor seine Augen.
    Die Lichtung war nicht sehr groß, vielleicht zwanzig mal zwanzig Meter. In der Mitte, etwas schräg und mit der rechten Längsseite zum Weg, stand die Holzhütte. Die Vorderfront war unterbrochen durch eine Holzbohlentür und jenes blau durchschimmerte Fenster; eine grobe Bank stand rechts der Tür, daneben ein Tisch und keinen Meter entfernt ein Hackklotz. An der ihm zugewandten Längsseite der Hütte war gespaltenes Feuerholz bis unter das weit überstehende Dach gestapelt. Wie ein drohender Finger ragte aus der linken Dachhälfte ein Natursteinkamin, aus dem weißlicher Rauch quoll. Robert prägte sich die Gegebenheiten genau ein. Er vermisste etwas. Das Auto.
    Radduk war sicher mit einem Auto hier, und die Spuren im Gras hinter der Schranke sprachen dafür, dass er hin und wieder sein Versteck verließ. Wahrscheinlich, um Proviant und Zeitungen aus einem Dorf in der Nähe zu holen. Robert nahm das Star-Tron ab und beugte sich zu Sven hinüber. Sie flüsterten jetzt.
    «Wir müssen den Wagen finden.»
    «Warum?»
    «Um ihn außer Gefecht zu setzen, damit uns Radduk nicht verfolgen kann, falls was schiefgeht.»
    Sven nickte. Gebückt arbeiteten sie sich dicht am Waldrand vor. Nach wenigen Schritten stießen sie auf eine in die Lichtung ragende Barriere aus Büschen und Ästen. Dahinter war der Wagen versteckt. Ein zweitüriger Mitsubishi Pajero mit engem Radstand, dicken Reifen, mächtigem Kuhfänger und Hamburger Kennzeichen. Robert schlich zur Fahrerseite und spähte ins Innere. Scheinbar gab es keine Alarmanlage, nirgendwo glomm eine Leuchtdiode. Robert gab Sven das Star-Tron. «Behalt die Hütte im Auge.»
    Dann ließ er sich vor dem Kühlergrill zu Boden, drehte sich auf den Rücken, stemmte die Hacken in den Boden und schob sich unter den Motor. Unter dem Pajero war es stockdunkel, er musste sich auf seinen Tastsinn verlassen. Es dauerte eine Weile, bis er gefunden hatte, wonach er suchte: den Verteiler.
    Robert kannte sich mit Motoren nicht besonders gut aus, wusste aber aus Erfahrung, wie leicht sie lahmzulegen waren. Mit seinem ersten eigenen Wagen, einem 82 er Golf, hatte er in einer verregneten Nacht als Achtzehnjähriger ein Reh angefahren. Die Wucht des Aufpralls hatte den Kühler so weit nach innen gedrückt, dass der Verteilerdeckel zersplittert und der Verteilerfinger gebrochen war. Der Typ in der Werkstatt hatte ihm später erklärt, der Verteiler sei dafür zuständig, im richtigen Rhythmus über die Zündkabel den Zündfunken der Zündkerzen auszulösen. Ohne das Ding funktionierte nichts. Als er nun die fünf eng beieinanderstehenden Kabel zwischen seinen Fingern spürte, hielt er sie fest, zog sie ein Stück weit mit hinunter und legte sich auf den Rücken. Mit der rechten Hand

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