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Der Gesang des Blutes

Der Gesang des Blutes

Titel: Der Gesang des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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nach innen geöffneten Tür. Robert zog die Betäubungspistole aus dem Schulterholster. Gerade noch rechtzeitig fiel ihm ein, dass Radduk das Licht einschalten würde, sobald er die Hütte betrat. Er riss sich das Star-Tron vom Kopf. Kaum fertig, vernahm er scharrende Schritte vor der Tür. Radduk hatte seinen Rundgang beendet. Vielleicht war er auch nur bis zum Wagen gegangen und hatte die Holzscheite im Gras nicht mal gesehen. Robert konnte kaum glauben, dass der Kerl auf einen der dümmsten Tricks hereingefallen war und sich aus der Hütte hatte locken lassen. Aber noch war er nicht überwältigt.
    Wie erwartet machte Radduk Licht, noch bevor er die Tür schloss. Eine nackte Glühbirne an einem kurzen Kabel über dem Tisch in der Mitte des Raumes flammte auf. Obwohl es funzlig-gelbes Licht war, schmerzte es in den Augen. Scheinbar geblendet tastete Radduk mit der linken Hand hinter sich, ergriff die Tür und zog sie zu. Robert zielte auf dessen breiten Rücken.
    «Waffe fallen lassen!», befahl er laut.
    Radduk erstarrte. Sein Arm mit dem Revolver hing lang an seiner rechten Körperseite herunter. Zwei, drei Sekunden rührte er sich nicht.
    «Waffe fallen lassen, sonst schieß ich dir in den Hinterkopf!» Robert hatte nicht vor, Radduk schon jetzt zu betäuben, denn dann würden sie das Geld suchen müssen, und wenn es irgendwo draußen vergraben war, würden sie es niemals finden. Sie mussten schon das Risiko eingehen, ihn zu fragen.
    Radduk schien zu dämmern, wie einfach er sich hatte übertölpeln lassen. Die Finger seiner Hand öffneten sich, und die schwere Waffe polterte zu Boden. «Wer bist du?», fragte er.
    «Das spielt keine Rolle. Wenn du genau tust, was ich dir sage, überlebst du das hier.»
    «Hier gibt es nichts zu klauen.»
    «Setz dich an den Tisch.»
    «Was willst du von mir?»
    «Das erkläre ich dir, wenn du dich an den Tisch gesetzt hast. Und ich möchte, dass du dabei deine Hände in die Taschen steckst, richtig tief rein. Meinetwegen kannst du mit deinen Eiern spielen.»
    Radduk bewegte sich wie ein Holzklotz, tat aber, was ihm befohlen wurde. Robert folgte ihm mit dem Lauf der Waffe. Als der große Mann mit den Händen in den Taschen seiner engen Jeans am Tisch saß, konnte Robert zum ersten Mal dessen Gesicht sehen. Er war sich sofort und überwältigend sicher, dass er diesen Moment, diesen Anblick niemals vergessen würde.
    Radduks Gesicht war das eines menschlichen Bären, eines verwucherten, schwarzen Mannes, eines Urviehs, in der Entwicklung irgendwo kurz nach den Neandertalern stehen geblieben. Ein gewaltiges Kinn schob sich über dem kurzen Hals hervor, wurde aber verdeckt von einem dichten und dunklen Vollbart, der vom Gesicht wenig mehr übrig ließ als die Augenpartie. Die unglaubliche Breite seines Kinns ließ den Rest des Kopfes zum Scheitel hin zusammenschmelzen; ein Effekt, der durch den Bart noch verstärkt und von einem Nasenbein vollendet wurde, das beinahe so breit war wie der Handrücken einer zierlichen Frau und die Augen zur Mitte zog, wo sie in einem leicht asiatischen Winkel zueinander standen, überdacht von Augenbrauen, die sich nahtlos dem Wirrwarr aus Bart und Haar anschlossen. Das Verwirrendste am ihm waren jedoch seine Augen. In einem solchen Pelz hätte Robert große, tumb blickende Knöpfe erwartet, die keine nennenswerte Intelligenz ahnen ließen. Radduks Augen jedoch waren schmal, gerade am oberen Lid und durchgebogen am unteren. Sie hatten etwas schlangenartig Verschlagenes.
    Robert konnte ihn nicht lange ansehen. Diese Augen verunsicherten ihn. Er schwitzte, hätte sich gern die elendige Maske vom Gesicht gerissen, widerstand jedoch der Versuchung. Sein Gesicht musste sein Geheimnis bleiben.
    «Was seid ihr denn für Gestalten?»
    Erst als Radduk das sagte, erinnerte Robert sich wieder an Sven, der die ganze Zeit geräuschlos in seinem Rücken gestanden hatte.
    «Nimm seine Waffe und behalt ihn im Auge», befahl er ihm. Dabei hoffte er, dass Sven sich an seine Anweisung halten würde. Keine Toten! Egal, was Radduk auch auf dem Kerbholz hatte, Robert wollte sich nicht mit ihm auf eine Stufe stellen und zum Mörder werden. Letztlich war es nur noch dieser kleine Schritt, der ihn vom Rest seiner Familie und der Szene, aus der sie stammte, trennte.
    Sven nahm den schweren Trommelrevolver auf. Allein an der Art, wie er ihn hielt, musste Radduk erkennen, dass Sven kein großer Meister im Umgang damit war. Robert registrierte das. Sollte Radduk aktiv werden,

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