Der Gesang des Blutes
würde er sich zuerst auf Sven stürzen.
Auf dem Tisch standen zwei zerknitterte Bierdosen, ein Aschenbecher war gefüllt mit Kippen, eine Schachtel Marlboros lag daneben. Erst jetzt fiel Robert der schweißige Geruch auf, der sogar den des Feuers in dem alten gusseisernen Ofen überdeckte. Er passte zu dem fleckigen, weißen T-Shirt, das Radduk trug. Robert ging zwei Schritte auf den Tisch zu. Als er in das Licht der Glühbirne geriet, wurden Radduks Augen noch schmaler. Deutlich war ihm anzusehen, wie er sein Gedächtnis nach einer Erinnerung durchforstete. Obwohl eine Waffe auf ihn gerichtet war, schien er keine Angst zu haben.
«Wer schickt euch?», fragte er.
«Niemand. Ich will das Geld abholen.»
«Welches Geld?»
«Pass auf, ich habe nicht vor, mich lange mit dir zu unterhalten. Du kannst die Sache hier lebend überstehen, wenn du mir sofort sagst, wo das Geld ist. Andernfalls …»
Mit einem Kopfnicken deutete Robert auf die klobige Betäubungspistole.
«Wenn ihr mich erschießt, kriegt ihr das Geld erst recht nicht.»
«Da magst du recht haben, obwohl wir für zweihunderttausend Euro lange suchen würden. Aber ich glaube nicht, dass wir das müssen. Ein Schuss in den Fuß oder ins Knie hat noch jeden zum Reden gebracht.»
Radduk zeigte keine Reaktion. Wegen seines Vollbartes war es allerdings schwierig, seine Mimik zu lesen.
«Ihr erschießt mich doch sowieso.»
«Warum sollten wir?»
«Ganz einfach … wenn ihr mich leben lasst, werde ich nicht ruhen, bis ich mein Geld wiederhabe und ihr unter der Erde liegt. Ich werde eure Familie und eure Freunde auslöschen und zuletzt euch Arschlöcher.»
Für einen winzigen Moment ging Robert die bildliche Vorstellung durch den Kopf, Radduk zwei oder drei Betäubungspfeile ins Fleisch zu schießen. Das Gift würde ihn töten. Was ihn davon abhielt, war die Maske auf seinem Kopf. Radduk wusste nicht, nach wem er suchen sollte, also bestand keine Notwendigkeit, ihn zu töten. Wäre es nicht so gewesen, hätte die Drohung des Riesen ausgereicht, Robert seinen festen Grundsatz, bei seinen Raubzügen nicht zu töten, überdenken zu lassen.
«Das ist dein gutes Recht», sagte er, und versuchte sich in Gleichgültigkeit. «Ich würde es genauso machen. Aber jetzt ist Schluss mit der Laberei. Ich will wissen, wo das Geld ist.»
Radduk starrte ihn an. «Leck mich», sagt er und spuckte auf den Boden.
Robert senkte seine Waffe und zielte auf Radduks Fuß. «Das kann eine lange Nacht werden.»
Radduk zog den Fuß unter den Tisch. «Lass das …», er zögerte, schien über seine Chancen nachzudenken.
«Also?»
«Erst will ich wissen, wer mich verpfiffen hat.»
«Niemand.»
«Erzähl mir keine Scheiße, nur ich kenne diese Hütte.»
«Du würdest dich wundern, wer alles diese Hütte kennt. Die ist als Versteck genauso gut geeignet wie das Polizeipräsidium. Und jetzt sag mir, wo das Geld ist.»
Radduk starrte ihn an. Eine, vielleicht zwei Minuten. Roberts Zeigefinger hatte längst den Druckpunkt des Abzuges gefunden. Eine winzige Bewegung, und der erste Giftpfeil würde abgeschossen. «Da drüben», presste Radduk schließlich zwischen seinen Lippen hervor und wies mit dem Kopf auf eine große Holztruhe, die an der Wand links der Eingangstür stand.
«Pass auf», befahl Robert Sven, der sich zwei Schritt seitlich von ihm postiert hatte. Rückwärts, ohne Radduk aus den Augen zu lassen, bewegte Robert sich auf die Truhe zu. Mit der freien linken Hand klappte er den Deckel auf und warf einen raschen Blick hinein. Ein weißer Stoffbeutel lag darin. Er nahm ihn heraus, wog ihn kurz in der Hand und brachte ihn zum Tisch.
«Nimm die Hände aus den Taschen, schütt es aus und zähl es vor», befahl Robert.
Radduk nahm seine Hände aus den Taschen – und explodierte.
Aus der Bewegung schleuderte er den Tisch auf Robert zu und stürzte sich selbst auf Sven. Robert wurde von der Schnelligkeit des Riesen völlig überrascht. Zudem befand er sich zu nahe am Tisch und kam nicht rechtzeitig weg. Die Platte traf ihn am Bauch und brachte ihn zu Fall. Als er sich von dem Tisch befreit hatte, rangen Sven und Radduk um die Waffe. Der Riese schlug sie dem mageren Sven aus der Hand. Robert schoss, ohne zu zielen. Der Pfeil bohrte sich in Radduks rechten Oberarm. Radduk rammte Sven sein Knie in den Bauch, nahm die Waffe an sich und drehte sich um. Robert dachte nicht nach, er schoss einfach. Der zweite Pfeil bohrte sich in Radduks Bauch. Radduk brachte den Revolver in
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