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Der Gesang des Blutes

Der Gesang des Blutes

Titel: Der Gesang des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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konnte, auch in seinem Kopf war plötzlich Funkstille: Keine hektischen Gedanken mehr, keine Suche nach einem Ausweg – er saß einfach nur da, umklammerte das Lenkrad und glotzte auf die grellroten Rücklichter des Pajero.
    Der Beifahrer stieg aus und kam auf ihn zu. Ein bulliger, untersetzter Kerl, mit Schultern, die seine grüne, hüftkurze Jacke zu sprengen drohten. Eine Waffe trug er nicht, jedenfalls nicht in der Hand, aber Sven hatte keinen Zweifel, dass der Kerl ihn binnen Sekunden hinter dem Lenkrad hervorzerren und ihm an drei verschiedenen Stellen die Wirbelsäule brechen konnte. Aus und vorbei. So schnell geht das. Scheiß Job.
    Der Kahlköpfige pochte gegen die Seitenscheibe.
    «Dreh mal runter», sagte er. Seine Stimme, durch das Glas gedämpft, klang für Sven, als sei er schon tot. Beinahe automatisch griff er nach der Kurbel, drehte die Scheibe runter und sah den Fremden an.
    «Bist du Sven Brüning?»
    Sven nickte.
    «Schön. Mein Freund da vorn möchte mit dir sprechen. Ich mache dir einen Vorschlag zur Güte: Du folgst einfach dem Wagen, und wir fahren an ein ruhiges Plätzchen, wo wir ungestört miteinander quatschen können … oder ich verpass dir gleich hier eine.»
    Die rechte Hand des Kahlköpfigen tauchte an der Seitenscheibe auf. Sie hielt genau das, was Sven befürchtet hatte. Eine Kanone.
    «Hey, Mann, was soll das? Ich …»
    Der Kerl wusste, wohin er schlagen musste, um ein Plappermaul zum Schweigen zu bringen. Der Hieb, schnell und heftig, traf Sven seitlich am Kopf. Augenblicklich sank er über dem Steuer zusammen.
    Der Kahlköpfige öffnete die Tür und beförderte Sven auf den Beifahrersitz. Dann setzte er sich hinters Steuer. Als die Ampel auf Grün schaltete, folgte er dem Geländewagen.

    «… bin gegen Mittag wieder hier …»
    Seine letzten Worte hingen wie der Geruch von Gebratenem noch ein Weilchen in der Luft oder vielleicht auch nur in ihren Ohren, aber sie konnte sie noch hören, als er bereits über den Hof stolzierte, den breiten Rechen auf der Schulter und eine Hand in der Tasche.
    Sie stand am Fenster, am undichten und feuchten Fenster der Küche, an dessen Glas Wassertropfen abperlten. Sie hinterließen Spuren, durch die sie ihm nachschauen konnte. Ihrem Mann, der er noch nicht lange war. Auf dem Weg zum Feld hinaus, wo er durch seine Hände Arbeit die Familie versorgte. Eine Familie, die bald vollständig sein würde. Sie sah hinunter, strich über ihren noch flachen Bauch und sah wieder hinaus. Nun war das Fenster nicht mehr feucht, ungehindert konnte sie nach draußen sehen. Winzige Schneeflocken schossen vom Wind getrieben an den kahlen Pappeln vorbei. Still war die Welt; still und kalt.
    Sie drehte sich geschwind um, denn auf dem Herd brutzelte das Omelett. In einer schweren gusseisernen Pfanne mit einem Griff aus Holz schwamm es in aufgelöstem Fett. Es roch gut. Sie nahm sie vom Feuer; ein geschickter Wurf, das Omelett drehte sich in der Luft und landete wieder in der Pfanne. Heißes Fett spritzte dabei auf und traf ihre Hände, doch sie spürte es kaum. Viele Jahre harter Erntearbeit auf dem Feld des Vaters hatten sie abgehärtet. Sie stellte die Pfanne auf das Feuer zurück und wischte ihre Hände am Überrock ab. Plötzlich legte sie die Stirn in Falten, strich eine widerspenstige Locke aus dem Gesicht und horchte. Hatte sie nicht etwas gehört? Ein leises Bimmeln, wie von einer kleinen metallenen Glocke? Mit zwei Schritten war sie beim Fenster und wischte mit der Hand das Wasser ab. Tom fuhr in ihrem dunkelgrünen Cherokee die Hofeinfahrt hinauf; er winkte ihr aus dem geöffneten Seitenfenster zum Abschied. Sie winkte zurück.
    Das Omelett musste gewendet werden!
    Sie ging zum Herd, warf das Omelett abermals in die Höhe, konnte es aber nicht auffangen. Mit einem lauten Platschen landete es auf der Spüle und glitt langsam in das Becken hinab. Der Seifenschaum des Spülmittels hüllte es sofort ein. Mit einem schnellen Griff – das Wasser war heiß und tat ihren zarten Händen weh – fischte sie es heraus, legte es in die Pfanne zurück und stellte sie auf das Ceranfeld. Es musste nun länger braten, denn die Bräune war abgewaschen.
    Wieder das leise Bimmeln. Ganz deutlich konnte sie es hören. Abermals wischte sie ihre feuchten Hände im Überrock ab und trat ans Fenster.
    Ein verschlagen wirkender Mann kam mit einem hölzernen Handwagen im Schlepptau ihre Einfahrt hinunter. Ein großer, eckiger Kasten war dieser Wagen, an einem metallenen Bogen hing

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