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Der Gesang des Blutes

Der Gesang des Blutes

Titel: Der Gesang des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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sich noch immer unter hektischen Atemzügen hob und senkte.
    «Ich … ich habe geträumt …»
    Ilse trat einen Schritt vor, sodass Kristin Lisas Gesicht sehen konnte. Das kleine, zarte Gesicht einer Vierjährigen, umrahmt von schlafzerzaustem, blondem Haar. Sie stand da, in ihrem blauen Nachthemd, und hielt mit beiden Armen ihren ockerfarbenen Teddy gegen ihren Brustkorb gedrückt. Drei Wochen nach ihrer Geburt waren sie zusammen zu einem Babymarkt gefahren, um ein paar notwendige Dinge zu besorgen. Es war ihr erster Einkauf als dreiköpfige Familie. Damals hatte Tom darauf bestanden, ebendiesen Teddy zu kaufen. Fünfzig Euro wollten sie dafür haben, doch Tom hatte gesagt, dass jedes Kind einen Lieblingsteddy bräuchte und dessen Qualität gut sein müsse, damit er ein ganzes Kinderleben lang hielt. Nicht für eine Sekunde hatte er über den Preis nachgedacht. In so vielen kleinen und unscheinbaren Dingen steckt die Erinnerung, in so vielen!
    «Das muss ja ein schlimmer Traum gewesen sein, du hast uns mit deinem Geschrei zu Tode erschreckt!» Um ihren Schrecken zu untermalen, legte Ilse ihre flache Hand an die Stelle, an der sich ihr Herz befand. Lisa setzte sich auf die Kante des niedrigen Bettes.
    «Geht’s dir gut, Mama?»
    «Es ist alles in Ordnung, wirklich … nur ein blöder Traum, weiter nichts.»
    Trotz dieser Bekundung hielt sie nach wie vor ihre Hand schützend vor ihre Brust, wo sie doch ebenso gut Lisa über den Kopf hätte streicheln können! Zum Trost, wie man das bei kleinen Mädchen eben macht.
    Ilse schüttelte den Kopf. «Kindchen, Kindchen … so hab ich dich noch nie schreien hören … ich hab schon das Schlimmste befürchtet.»
    «Mach bitte nicht so ein Drama daraus, Mama, es war wirklich nur ein Traum.»
    «Trotzdem.»
    «Mami, soll ich bei dir schlafen, damit du keine Angst mehr haben musst?», fragte Lisa. Ihre Augen waren wieder mehr müde als erschrocken.
    Kristin zog ihre Decke zurecht und schlug sie zurück.
    «Komm schnell drunter, hier ist es schön warm.»
    Umständlich, da sie ja ihren Teddy auf keinen Fall loslassen durfte, krabbelte Lisa zu ihr.
    «Und du geh bitte auch wieder ins Bett, Mama. Es ist alles in Ordnung.»
    «Wenn du meinst … aber ich weiß nicht, ob ich wieder einschlafen kann? Mein Herz rast noch immer!»
    «Das tut mir leid. Trink ein Glas Milch, dann wird’s schon gehen.»
    «Also gut …»
    Ilse beugte sich herunter, gab Tochter und Enkelkind einen Kuss auf die Stirn und verließ zögernd den Raum. Als sie die Tür hinter sich zuzog, spürte Kristin noch die feuchte Stelle auf ihrer Stirn. Sie konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, wann ihre Mutter sie zum letzten Mal so geküsst hatte. Vielleicht als sie acht oder neun gewesen war? Es war einer dieser Küsse, die man nur bekam, wenn man kleiner war oder sich in einer tieferen Position befand als der Küssende. Ein Kuss, der ausdrückte, wie sehr man noch beschützt werden musste. Und genau so hatte Kristin sich dabei gefühlt. Für ein Kind mochte es in Ordnung sein, Kinder brauchten das Gefühl, beschützt zu werden. Kristin jedoch kam sich schlagartig in ihre Kindheit zurückversetzt vor, und das gefiel ihr nicht.
    Lisa kuschelte sich an ihre Seite. Ihre kalten Füße kitzelten Kristin in den Kniekehlen.
    «Schnell einmummeln, Träumerchen», flüsterte sie und verpackte sich und Lisa in die wärmende Decke. Dann löschte sie das Licht mit dem Schalter neben dem Bett. Eng aneinandergeschmiegt lagen sie in der Dunkelheit.
    «Können Träume weh tun?», fragte Lisa flüsternd.
    «Nein, aber sie können dich erschrecken. Aber das ist nicht so schlimm. Wenn du aufwachst, sind sie weg, und der Schreck ist vorbei.»
    Das war glatt gelogen, aber mitunter war es besser, nicht die Wahrheit zu sagen. Nicht immer verschwand der Schrecken mit dem Aufwachen, das spürte Kristin gerade selbst. Die Geschichte ihres Traumes war wie ein Blitzlichtgewitter in ihrem Kopf abgespeichert.
    Lisa war noch nicht überzeugt.
    «Hast du vom großbösen Wolf geträumt? Ich hab nämlich schon mal vom großbösen Wolf geträumt. Da hat er mich im Wald verfolgt, und ich wollte so schnell rennen, wie ich konnte, aber ich konnte nicht.»
    Es war ein atemberaubendes Gefühl, den kleinen warmen Körper mit dem leise pochenden Herzen im Arm zu halten. So atemberaubend, dass Kristin am liebsten in ihre Tochter hineingekrochen wäre. Sie drückte sie noch fester an sich.
    «Das schöne an Träumen ist, dass einen der Wolf

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