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Der Gesang des Blutes

Der Gesang des Blutes

Titel: Der Gesang des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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Statur nach konnte es Radduk sein. Das Gesicht konnte Sven erst erkennen, als der Mann aus dem Gegenlicht trat.
    «Ie ühlst du dich, Kleiner? isschen Kokscherzen?»
    Sein Herz setzte kurz aus. Das war kein Gesicht, sondern eine Fratze, eine Maske aus einem Horrorfilm. Das war nicht menschlich! Auf der linken Seite schien alles heruntergerutscht zu sein. Die Lippen waren zur Hälfte weg, Zahnfleisch lugte rötlich hervor. Irgendetwas hielt er zwischen seinen dicken Fingern und spielte damit. Sven konnte nicht erkennen, was es war.
    «Was soll das alles?», fragte er heiser.
    «Eißt du, ich hatte Kokscherzen. Höllische Kokscherzen.»
    Während Radduk mühsam sprach, knibbelten seine Finger weiterhin an dem undefinierbaren Gegenstand, und Sven konnte nicht aufhören, dorthin zu starren. Zu gern hätte er gewusst, was es war. Er spürte, dass dieses kleine Teil wichtig war – oder noch werden würde.
    «Ich … ich weiß nicht, wovon du sprichst.»
    Radduk kam zwei Schritte näher und beugte sich etwas herab. Sven wandte seinen Blick ab. Er konnte nicht in dieses verunstaltete Etwas blicken.
    «Sieh nich an!»
    Eine Hand packte hart in seinen Nacken und drückte seinen Kopf hoch. Svens Lider flatterten, als er Radduk ansah. Die Spuren des heißen Ofens, der Gestank nach verbranntem Menschenfleisch; jetzt kehrte die Erinnerung zurück.
    «Das ist euer erk, also sieh es dir auch an. Ihr Idioten, ihr hättet i… ich kalt achen sollen … fie kann an nur so dänlich sein?»
    Radduk näherte sich Sven bis auf wenige Zentimeter. Süßlicher, alkoholgeschwängerter Atem schlug Sven entgegen.
    «Fo ist Roert Stolz?»
    Sven versuchte ihn fest anzusehen, doch seine Lider flatterten. «Wer?»
    «Fang loß keine Schielchen an, du Schanzlutscher. Ich feiß, dass du dich it diesen Roert Stolz triffst, und du first mir jetzt sagen, wo ich ihn finde. Und zwar ein isschen schnell!»
    «Ich kenne keinen –»
    «Halt die Schnauze!», brüllte Radduk plötzlich. Sven fuhr zusammen, Speichel traf sein Gesicht. «Ich hak keine Seit und keine Lust, ir deine Lügenärchen anzuhören.» Und dann, wesentlich leiser, aber nicht weniger bedrohlich: «Kunkel, das hier fird nicht lustig für dich, afer wenn du dich ein fenig kookeratif gist, kannst du dir das eine oder andere ers… ers… aren.»
    Beinahe hätte Sven ihm geholfen, hätte ihm gezeigt, wie man ersparen aussprach, wenn man Lippen hatte. Was ihn davon abhielt war, dass Radduk das Geheimnis des Gegenstandes in seiner Hand preisgab. Es war eine Büroklammer. Eine einfache, billige Büroklammer.
    «Hör zu …», begann er hastig, wollte retten, was noch zu retten war. Doch Radduk ließ ihn nicht weit kommen.
    «Nein, du hörst su, londlöckchen. Hak ich dir eigentlich schon ersählt, dass ich fiel lese? Nein? Tue ich aer. Ist sosusagen ein Hoddy. Nicht so as Hochgeistiges, fo einen vor Langeweile die Füße einschlafen, sondern lutigen Horror. Es git da einen Schriftschteller … Stefen King! Kennst du nicht, oder? Tunten fie du lesen doch nur Fichshefte, oder?»
    Sven erwiderte nichts.
    «Da git es eine Stelle in einen seiner Ronane, wo ein firklich föser Junge … Aschine heißt der Kerl. Ist das nicht ein starker Nane? Der haut doch alles un, oder? Also, dieser Aschine …», Radduk versuchte den Namen ohne Lippen mit amerikanischem Akzent auszusprechen, und trotz seiner angespannten Situation hätte Sven beinahe darüber gelacht, so blöd klang das, «… hat auch so eine stinknornale Üroklanner fie diese in der Hand und iegt sie langsan auseinander, so fie ich das jetzt nache.»
    Als wäre es ein magischer Gegenstand, wurden Svens Augen von der Büroklammer angezogen. Panik stieg in ihm auf.
    «Und dann hat er diesen dünnen Draht in das Auge seines Otfers geohrt. Ist das nicht firklich geein? Ich eine … jenanden den Koff egschiessen oder ihn die Fresse folieren, okay, das gehört sozusagen zun guten Ton, aer dies hier …?» Radduk hielt die nun vollends aufgebogene Klammer hoch und betrachtete sie. «Das ist schon ’ne echt harte Nunner. Was einst du, londlöckchen?»
    «Das … das wirst du doch nicht tun. Ich bitte dich, Mann, wir können doch über alles reden. Ich sag dir doch alles. Lass uns doch darüber reden, bitte!» Svens Stimme überschlug sich fast.
    «Halt seinen Koff fest, Hardy.»
    Hardys Hände legten sich wie die Backen eines Schraubstockes rechts und links an Svens Kopf. Sven versuchte sich zu wehren, doch bis auf seine Augenlider konnte er nichts

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