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Der Gesang des Blutes

Der Gesang des Blutes

Titel: Der Gesang des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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das üblich? Kristin fand es eher abstoßend, doch war jetzt der falsche Zeitpunkt, sich darüber aufzuregen. Sie durchsuchte die Ablage, fand aber keine Mahnung der Gaststätte. Der nächste Brief war vom Steinmetz, bei dem sie das schlichte Holzkreuz bestellt hatte. Dafür, und für die Arbeiten an Fundament und Sockel, verlangte der gute Mann zweitausendsiebenhundert Euro.
    Kristin sackte immer weiter zusammen. Trotzdem öffnete sie auch den vorletzten Brief. Die Hamburger Zeitung – dort hatte sie die Todesanzeige aufgegeben, da sie in Althausen noch kaum jemand kannte – stellte zweihundertzweiunddreißig Euro in Rechnung.
    Seufzend legte Kristin die Rechnung zu den anderen und murmelte: «Hinten anstellen.»
    Der letzte Brief verwirrte sie. Er war von einer Versicherung namens Securis, bei der Tom offensichtlich eine Risikolebensversicherung abgeschlossen hatte. Sie schrieben, die SA -WestBank habe sich mit ihnen wegen der fälligen Summe von fünfzigtausend Euro in Verbindung gesetzt, doch für die Auszahlung fehle ihnen noch die Sterbeurkunde. Das verstand Kristin nicht. Sie hatte eine Kopie der Sterbeurkunde an Toms Lebensversicherung geschickt, doch das war nicht die Securis gewesen. Hatte Tom noch eine zweite Versicherung abgeschlossen, von der er ihr nichts erzählt hatte? Oder hatte sie es nur vergessen? Aber warum fragte dann die Bank bei der Gesellschaft an? Nun, sie würde diesen Herrn Barnickel fragen, aber wenn ihr tatsächlich zweimal fünfzigtausend Euro zustanden, war sie gerettet – vorläufig jedenfalls.
    Kristin zog den Taschenrechner heran und gab die verlangten Beträge ein. Dann drückte sie die =-Taste und wagte kaum auf das Display zu schauen. Insgesamt stand sie mit einer Summe von siebentausendvierhundertzweiundfünfzig Euro in der Kreide. Doch das war ja noch nicht alles. Die monatlichen Kosten waren von ihrem Konto abgegangen, ohne dass ein Gehalt eingegangen war. Sollte die Versicherung noch nicht überwiesen haben, stand ihr Konto mittlerweile hoffnungslos im Minus.
    Sie schloss die Augen, stützte ihren Kopf in die Hände und rieb sich die Schläfen. Toms Tod war zu einem Geschäft geworden. Sie fand das mehr als makaber, aber so war es nun mal, und es brachte sie nicht weiter, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Was sie dagegen weiterbringen würde, war ein Anruf bei der Bank. Ob sie wollte oder nicht, sie musste diesen Barnickel anrufen, und zwar so schnell wie möglich.
    Sollte sie jetzt gleich anrufen? Gab es einen Grund, es nicht sofort zu tun?
    Wahrscheinlich nicht, aber mehrere tausend dafür. Sie hatte Angst und wünschte sich Tom an ihre Seite. Den zuversichtlichen, liebevollen Tom, mit dem sie durch dick und dünn hatte gehen wollen. Doch wie es aussah, musste sie diese Sache allein durchstehen, niemand würde ihr dabei helfen. Schließlich nahm sie den Hörer ab, weil sie ebenso Angst davor hatte, das Gespräch vor sich herzuschieben. Kristin kannte das; sie würde die nächsten Tage mit einem schlechten Gefühl und einem unangenehmen Drücken im Bauch herumlaufen, und das war noch schlimmer, als es sofort hinter sich zu bringen.
    Im Briefkopf fand sie die Telefonnummer der Bank und tippte sie ein. Nach wenigen Sekunden war sie mit der zuständigen Sekretärin verbunden. Kristin verstand zwar deren Namen nicht, vereinbarte mit der freundlichen Frau aber einen Termin für den nächsten Tag um zehn Uhr.
    Als sie den Hörer auflegte, war Kristin verblüfft. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte, aber ganz gewiss nicht dieses kurze, problemlose Telefonat. Eher war sie davon ausgegangen, dass Herr Barnickel bereits am Telefon einen riesigen Aufstand wegen ihres Kontos machen würde.
    Vielleicht war alles doch nicht so schlimm, wie sie es sich ausmalte.

    Das dachte sie auch noch am nächsten Tag, als sie vor dem Bankgebäude parkte. Um zwanzig vor zehn stieg sie aus dem Cherokee, schlug die Tür zu und verriegelte den Wagen. Starker Ostwind trieb ihr sofort schneidend kalte Luft ins Gesicht, in der wenige winzige Schneeflocken trieben. Trotzdem reckte sie ihr Kinn vor und atmete tief ein; die kalte Luft machte ihr nichts aus, nicht in diesem Moment. Sie genoss sie sogar; es war, als würde frischer Wind durch ihren Kopf wehen. Mit langen Schritten ging sie auf die Eingangstür des grauen Gebäudes zu.
    Sie öffnete sich automatisch, und Kristin fühlte sich gefangen, als sich die beiden Scheiben hinter ihr wieder zuschoben. Rasch ging sie zu der großen Tafel neben

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