Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gesang des Blutes

Der Gesang des Blutes

Titel: Der Gesang des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
Vom Netzwerk:
Wagen rüberzubringen, doch Kristin lehnte dankend ab. Sie packte ihre widerwillige Tochter ein und fuhr mit ihr nach Haus. Auf dem kurzen Weg dorthin log sie auch sie an, versprach, dass mit Oma alles wieder gut werden würde.
    Lisa war aufgedreht von dem ungeplanten Besuch bei Toni. Sie plapperte über dieses und jenes, und obwohl es nervte, war Kristin froh, sie bei sich zu haben. Aus den ersten kleinen Schneeflocken war bereits richtiger Schneefall geworden, als sie den Cherokee im Unterstand parkten und aufs Haus zugingen. «Wenn morgen früh viel Schnee liegt, machen wir eine Schlittenfahrt durch den Wald und bauen vor dem Küchenfenster einen Schneemann», versprach Kristin, während sie die Haustür aufschloss.
    Einen Moment blieben sie in der geöffneten Tür stehen und betrachteten die fallenden Flocken, die durch kräftige Windstöße immer wieder zum wilden Tanz verführt wurden.
    Dann bugsierte Kristin ihre Tochter hinein. Auf der fensterlosen Diele war es schummrig. Kristin wollte Licht machen, doch dazu kam es nicht mehr. Irgendwas traf sie hart an der linken Seite und schleuderte sie so heftig zu Boden, dass ihr schwarz vor Augen wurde.
    Während sie fiel, hörte sie Lisa schreien.

21
    Lisa verstummte abrupt, als eine kräftige Hand ihr ins Gesicht schlug. Ihr Kopf wurde zur Seite geschleudert, sie stolperte rückwärts in die Ecke zwischen Dielenschrank und Wand, rutschte zu Boden und kauerte sich wie ein panisches Kaninchen zusammen.
    «Einen Ton! Fenn du noch einal schreist, rügle ich dich rün und lau!» Drohend wies der Mann mit seinem Zeigefinger in ihre Richtung.
    Kristin versuchte sich aufzurappeln, doch noch bevor sie wirklich stand, wurde sie an den Oberarmen gepackt, unsanft hochgerissen und mit dem Gesicht gegen die kalte Eingangstür gepresst. Das alles ging sehr schnell, sie begriff nicht, was geschah, hatte nicht mal Zeit zu schreien. «Das Gleiche gilt für dich», raunte der Mann ihr ins Ohr. Sein Atem roch nach Fisherman’s Friend. «Fenn du genau tust, fas ich dir sage, üerlest du vielleicht. Und denk an deine Tochter. Ist doch deine Tochter, oder?»
    Kristin reagierte nicht. Der Mann riss ihren rechten Arm schmerzhaft nach oben. «Ist sie deine Tochter oder nicht?»
    Schnell nickte Kristin. Sprechen konnte sie nicht, da ihre Lippen unnachgiebig gegen die Tür gepresst wurden.
    «Na also, geht doch. An deine Tochter solltest du denken. Fenn du irgendfelche Dunnheiten anstellst, fird es ihr schlechtgehen. Das verstreche ich dir. Hast du nich verstanden?»
    Kristin verstand gar nichts, nickte aber. Plötzlich zog der Mann sie von der Tür weg und stieß sie zum Dielenschrank. Sie ließ sich auf die Knie fallen, zog Lisa aus der Nische und presste sie an ihre Brust. Die Kleine begann zu wimmern, ihr Herz wummerte laut und schnell. «Schscht schscht», machte Kristin und strich ihr übers Haar.
    Ein schwarzer Schatten ragte drohend vor ihr auf. Der Scherenschleifer ist zurück, schoss es Kristin durch den Kopf. Selbst als das Deckenlicht aufflammte, wollte diese verrückte Erkenntnis nicht weichen. Zu furchteinflößend und abscheulich war der Anblick, der sich ihr bot. Aus ihrer hockenden Stellung wirkte der Mann überdimensional groß. Sein kantiger Schädel war von Haaren und Bart überwuchert, wilde Augen stachen aus dem Urwald hervor. Eine verzerrte Fratze war dieses Gesicht; eine Fratze, in der vieles nicht zu stimmen schien. Die Lippen! Sie waren so merkwürdig verschoben.
    «Fas für ein schönes Dild», sagte er. «Utter und Tochter klammern sich aneinander.» Er blickte auf sie hinab. «Ihr eiden geht jetzt in die Küche und setzt euch an den Tisch.»
    Kristin hörte es zwar, rührte sich aber nicht. Sie wollte fragen, was das sollte, hatte die Worte auch schon auf der Zunge, wurde aber rüde daran gehindert.
    «Geht in die Küche, sonst assiert was!», brüllte der Mann.
    Lisa zuckte zusammen und vergrub ihr Gesicht an ihrem Hals. Kristin konnte die warme Feuchtigkeit der Tränen an ihrer Haut spüren. Langsam stand sie mit der Kleinen auf dem Arm auf, behielt den Fremden dabei im Blickfeld. Er strahlte eine fühlbare Aura der Gewalt aus. Rückwärts ging sie in die Küche. Wir werden überfallen, dachte sie dabei.
    «Hinsetzen, jeder au einen Stuhl!»
    Lisa klammerte sich noch fester. «Aber sie hat Angst», sagte Kristin. Die wenigen Worte brannten in ihrem Hals.
    «Ist nir scheißegal. Neinetfegen setzt euch neneinander, jeder auf einen Stuhl. Wird’s ald.»
    Die

Weitere Kostenlose Bücher