Der Gesang des Blutes
wog sie, wie ein Mann einen Baseballschläger wiegen würde.
Der Mann hockte noch immer am Boden, drehte ihr den Rücken zu und war mit sich selbst beschäftigt. Eine gute, wahrscheinlich einmalige Gelegenheit, ihm die Hacke in den Schädel zu schlagen. Das brachte Kristin jedoch nicht fertig. Mit der vermeintlichen Waffe in der Hand wollte sie sich an ihm vorbei zur Speisekammer schleichen. Sie hatte die Küchentür beinahe erreicht, da sprach er sie an.
«Das … first du … üßen», stieß er hervor. Kristin konnte sehen, dass er Höllenqualen litt, trotzdem kämpfte er sich schwerfällig hoch und starrte sie mit verzerrtem Gesicht an. Kristin streckte den Arm mit der Gartenhacke aus, um ihm zu zeigen, dass sie eine Waffe besaß. Es schien ihn nicht zu beeindrucken.
«Fas fillst du it den Ding?»
Er griff danach, erreichte es aber nicht. Kristin führte einen schnellen Schlag durch die Luft. Sie hatte nicht vorgehabt, ihn zu treffen, wollte ihn nur warnen. «Lass uns in Ruhe», rief sie.
Dann überschlugen sich die Ereignisse.
«Wird wohl einen Schneesturm geben.»
Der hagere Wirt stellte den Teller vor Robert auf den Tisch. Augenblicklich stieg ihm der Duft der Pommes in die Nase, und sein Magen erinnerte ihn daran, dass er schon seit Stunden nichts gegessen hatte.
Robert nickte. «Ja, ist ziemlich kalt da draußen.»
Der Wirt legte ein in eine Serviette eingewickeltes Besteck neben den Teller. «Im Radio warnen sie schon den ganzen Tag. Ich hab’s ja nicht geglaubt, aber mittlerweile …»
Der Wirt ließ den Satz unvollendet und machte sich auf den Rückweg zum Tresen. Robert sah ihm nach. Er war der einzige Gast in dem schummrig beleuchteten Gastraum der «Wilden Sau». Hier war es so gepflegt wie in jeder anderen Dorfkneipe auch, und so wie die Pommes mit Jägerschnitzel aussahen und rochen, war auch das Essen in Ordnung. Nur die Ruhe irritierte Robert. Er fühlte sich nicht sonderlich wohl als einziger Gast. Zumal der Wirt ein gesprächiger Mensch zu sein schien.
Hinter dem langgestreckten Tresen bereitete er den Kaffee zu, den Robert bestellt hatte. Das gelbe Licht der tiefhängenden Lampen warf lange Schatten in sein hageres Gesicht, aus dem die Wangenknochen und die Nase wie Felsvorsprünge hervorstanden.
«Sie kommen nicht aus der Gegend, oder?»
Mit einigen Pommes im Mund schüttelte Robert nur den Kopf.
«Hier kann man nirgends übernachten. Bevor es losgeht, sollten Sie zusehen, dass Sie wegkommen.»
«So schlimm wird es wohl nicht werden.»
Der Wirt kam mit der Tasse Kaffee. «Wer weiß das schon? Hier bei uns gibt es keinen Räumdienst. Wenn die Straßen zu sind, sind sie zu.»
Er stellte die Tasse auf den Tisch, machte aber keine Anstalten, wieder hinter seinem Tresen zu verschwinden. Robert kaute und versuchte ein Lächeln. Jetzt bereute er es, überhaupt eingekehrt zu sein. Aber bei den Merbolds war niemand zu Hause, und bei der Kälte hätte er kaum im Wagen warten können. Hinzu kam sein Magen, der schon seit geraumer Zeit knurrte. Er hatte keine Wahl gehabt, und das war immer schlecht.
«Suchen Sie hier jemanden?»
«Bitte?»
Zu Roberts Entsetzen zog der Wirt einen Stuhl vom Tisch und setzte sich. «Na, ich meine, sonst verirrt sich doch keiner hierher.»
«Ich bin geschäftlich unterwegs.»
«Versicherungen, was?»
Robert versuchte gleichgültig zu wirken, während er nickte. «So was Ähnliches.»
«Hab ich mir schon gedacht. Ihr seid ja immer im Rudel unterwegs.»
«Wie bitte?»
«Na, Ihr Kollege. Der hat vorhin hier geparkt, ist aber nicht reingekommen. So ein dunkler Geländewagen. Ist doch Ihr Kollege, oder?»
Robert verharrte beim Kauen und sah den Wirt an.
«Mein Kollege?»
«Ja, vor einer Stunde vielleicht. Ist aber nicht ausgestiegen. Hat ein paar Minuten geparkt und ist dann wieder gefahren.»
«Was war das für ein Wagen?»
Der Wirt zuckte mit den Schultern. «Ich weiß nicht, so ein Geländewagen eben. Dunkle Farbe.»
«Und das Kennzeichen?»
«Hamburger Nummer. Hab ich mir aber nicht gemerkt. Hören Sie, stimmt was nicht? Hab ich …»
Robert ließ das Besteck fallen und sprang auf. «Was schulde ich Ihnen?»
Der Wirt stand ebenfalls auf. Entgeistert blickte er von dem noch halbvollen Teller zu Robert. «Aber … aber, Sie haben doch gar nicht …»
Robert zog sein Portemonnaie aus der Tasche, klaubte hastig einen Zwanziger hervor und warf ihn auf den Tisch. «Das wird wohl reichen.»
Dann schnappte er sich seine Jacke und stürzte zur Tür
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