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Der Gesang des Blutes

Der Gesang des Blutes

Titel: Der Gesang des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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seine Hände laufen ließ, sein Gesicht benetzte, über sein Haar strich. Er hatte volles, braunes Haar.
    «Ich gehe jetzt», rief er schließlich.
    Sie nahm das Tuch zwischen ihren Beinen weg, warf es ins gefüllte Spülbecken, zog ihre Röcke zurecht und eilte zur Tür. Im ersten warmen Licht der Sonne blieb sie unter dem Balken stehen. Beide Hände in die Taille gestemmt, sah sie ihren Mann mit gespieltem Ernst an.
    «Dafür wird der Abend umso härter werden», sagte sie.
    Er kam auf sie zu, küsste sie mit Lippen und Zunge und hauchte ihr ins Ohr: «Am Abend, mein süßer Engel, wird alles härter.» Dann drehte er sich rasch um, schnappte sich den Rechen, der am Brunnen lehnte, und ging fort. Er ließ sie mit einem Schauer zurück, der sich rasch über Kopf und Nacken bis zu den Zehen ausbreitete und erneut weckte, was noch nicht befriedigt worden war. Bis zum Abend würde sie warten müssen, aber dann …
    Schnell ging sie in die Küche um sich mit der Arbeit auf andere Gedanken zu bringen. Einen Moment noch blickte sie ihrem Mann durch das beschlagene Fenster nach, an dem Wassertropfen herabperlten. Dann begann sie mit verbissener Emsigkeit das Haus zu säubern und das Essen für den Abend zu bereiten.
    Allzu viel Zeit war nicht vergangen, als sie das leise, melodische Bimmeln einer feinen Glocke hörte …

    Kristin erwachte ruckartig. Hatte sie etwas gehört? Ein Bimmeln? Sie spürte Lisa warm an ihrer Seite, sah nichts als schummrige Dunkelheit und sehnte sich in ihren Traum zurück. Es gab da einen Ort, zu dem sie unbedingt zurückmusste, etwas Wichtiges wartete dort auf sie. Es war so schön gewesen … da war Liebe, Wärme, Verlangen …

    «Bringt heraus Messer und Scher, so sie schneiden wieder schwer. Ich schleif sie euch, schnell und gut, und führ sie vor an meinem Blut.»
    Es war ein Scherenschleifer. Zweimal rief er seinen Spruch, und seine Worte drangen zu ihr, als könne weder Wind noch Wand sie aufhalten. Sie beobachtete den dunkel wirkenden Mann, der langsam auf ihr Haus zukam. Seine Kleidung war alt und schmutzig, sein Haar lang, sein Bart ungepflegt. Von seinem Gesicht konnte sie nichts sehen, der Rand des Filzhutes verdeckte es.
    Es war nur der Scherenschleifer, und auch wenn er aussah wie ein gedungener Mörder, brauchte sie sich vor ihm nicht fürchten, das wusste sie. Schon als kleines Mädchen hatte sie diese vagabundierenden Männer auf Vaters Hof kennengelernt. Ihr Leben war hart und voller Entbehrungen, doch sie nahmen es hin, taten das Einzige, was sie konnten: Sie schliffen Messer und Scheren. Und dieser kam wie gerufen. Ihr gutes Messer war stumpf geworden, schnitt nur noch, wenn sie sich tüchtig anstrengte. Sie nahm es aus der Lade und eilte damit hinaus.
    Mit gesenktem Kopf, sodass die Krempe seines Hutes sein Gesicht verdeckte, stand der Scherenschleifer neben seinem Wagen in der Mitte des Hofes. Sie trat aus der Tür in die Sonne, hielt ihr Messer hoch und rief: «Es schneidet kaum noch, könnt Ihr es mir schärfen, Scherenschleifer?»
    «Gebt es nur her», nuschelte der Mann, «im Nu ist es wie neu.»
    Als sie einen Schritt vor ihm stand, hob der Mann langsam den Kopf. Sie konnte seine Nasenflügel beben sehen, ganz so, als nehme er Witterung auf. Von unten wanderte sein Blick herauf und blieb an ihrem Hals haften. Erst jetzt erinnerte sie, dass die oberen drei Knöpfe ihres Kleides geöffnet waren. Ihr Mann hatte den Stoff beiseitegeschoben und an ihren Brüsten gesaugt. Nun stand sie diesem wildfremden Mann mit halb entblößten Brüsten, verschwitzter Stirn und dem sicher noch an ihr haftenden Geruch des Beischlafs gegenüber.
    Er offenbarte ihr seine Augen.
    Blau waren sie, und tiefer als jeder Ozean. In diesen verschlagenen, unergründlichen Augen sah sie ihr eigenes Spiegelbild. Was im Kopf des Scherenschleifers vorging, konnte sie nicht wissen, aber sie spürte es. Ihr Anblick, unzüchtig wie sie war, hatte etwas in ihm geweckt. Blut schoss ihr in den Kopf und ließ ihre Wangen erröten. Sie wollte das nicht, konnte aber nichts dagegen tun. Und auch nichts dagegen, dass plötzlich der Teufel sie zu reiten begann. Als hätte nicht die strenge und harte Hand ihres Vaters ihre Erziehung in die rechten Bahnen gelenkt, vergaß sie in diesem Augenblick sich selbst. Das Pochen in ihren Lenden nahm wieder zu, und obwohl sie wusste, wie schamlos es war, genoss sie doch die begehrenden Blicke des Scherenschleifers. Sie war eine junge, schöne Frau. Schon immer hatten die

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