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Der Gesang des Satyrn

Der Gesang des Satyrn

Titel: Der Gesang des Satyrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Fiolka
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Seufzen hob er die Arme und begann, um das Feuer zu tanzen, wobei er sie an der Hand nahm und mit sich zog. Die Flammen leckten nach ihnen, verbrannten sie jedoch nicht. Neaira spürte seine Arme fest um ihre Mitte, während Phrynion sie herumwirbelte.
    Plötzlich blieb er stehen, zog sie an sich und flüsterte in ihr Ohr. Solange du mich nicht gehen lässt, kann ich nirgendwohin gehen, meine kleine Mänade.
    Neaira riss sich von ihm los, nur um sich gleich darauf wieder in seine Arme zu werfen und zu schluchzen. Er war nicht wirklich, aber er fühlte sich so warm an, so tröstend und so vertraut. Seine Hände strichen über ihr Haar, als wäre sie ein Kind. Aber was muss ich tun, damit ich dich gehen lassen kann, Phrynion? Ich weiß es doch nicht, ich weiß gar nichts mehr.
    Er legte sein Kinn auf ihren Kopf und flüsterte in ihr Haar. Du musst mir verzeihen ...
    ... „Bitte, Neaira, du musst mir verzeihen, es tut mir leid!“
    Neaira öffnete die Augen und kam nur langsam zu sich.
    Sie hatte nicht aufwachen wollen. Warum nahmen sie ihr den letzten Traum einfach so gnadenlos fort. Neaira blinzelte und betrachtete den Mann, der von ihr profitiert hatte und nun den Bart der ehrbaren Athener trug sowie einen Chiton mit Purpurmantel. Er war ihr so fremd, wie ihr Phrynion vertraut erschien. Er war derjenige, der aus ihrem Hass und ihrem Kampf Gewinn zog, während er sie ausgelaugt hatte. Ihr Kopf war schwer und brummte vom Mohnsaft. Trotzdem lebte sie noch! Die leeren Phiolen standen wie ein Mahnmal auf dem Tisch neben ihrer Kline.
    „Ich dachte du würdest nicht mehr aufwachen, als Kokkaline mir erzählt hat, dass du zwei Phiolen mit Mohnsaft getrunken hast.“ Stephanos Blick wechselte zwischen Mitleid und Ratlosigkeit.
    Neaira wollte sich aufsetzen, fiel aber stöhnend auf die Kline zurück, da ihr schwindelig wurde. „Ich bin des Lebens müde, und ich bin deiner überdrüssig“, bekannte sie mit schleppender Stimme, ohne ihn anzusehen.
    Stephanos nahm sich einen Stuhl und setzte sich an ihr Lager. Sein Haar hatte graue Strähnen bekommen. Wann war das geschehen? Zu lange waren sie sich nur flüchtig über den Weg gelaufen, als dass sie es hätte sagen können.
    „Es tut mir leid, Neaira! Ich weiß, welche Vorwürfe du mir machst, und sie sind berechtigt. Ich habe die Augen vor allem verschlossen, weil mir mein Aufstieg wichtiger war. Ich suchte Vergessen in den Armen einer Hetäre und genoss meinen Reichtum. Ich habe alles verdrängt, was uns einmal verbunden hat ... obwohl ich wusste, welche Kämpfe zwischen dir und Phrynion vor sich gingen.“
    Das erste Mal seit Tagen spürte Neaira, wie ihr Kopf klar wurde und ein Teil ihres Verstandes in die Wirklichkeit zurückkehrte. Schwerfällig gelang es ihr, sich auf ihrer Kline aufzusetzen. Er hatte es gewusst? Die ganzen Jahre hatte er den Ahnungslosen gespielt ... und sie hatte geglaubt, er wäre ein zahnloser Hund. „Warum, Stephanos?“
    Er zuckte mit den Schultern. „Es gibt keine Entschuldigung für mein Verhalten ... nur Gründe ...
    Bequemlichkeit, Egoismus.“ Dann hob er den Kopf und sah sie an. „Ich habe dich allein gelassen, aber das ist jetzt vorbei. Meine Hetäre habe ich aufgegeben; von nun an werde ich dir jenes Heim bieten, das du dir immer gewünscht hast.“ Da war er wieder, dieser scheinbar gütige Hundeblick. „Bitte, Neaira – sag, dass es nicht zu spät für uns ist.“
    Sie antwortete ihm nicht. Stephanos stand von seinem Stuhl auf und wandte sich zur Tür. „Ich bin in meinen Räumen.“
    Neaira sah ihm hinterher; wie oft hatte er sie enttäuscht? Sie hatte geglaubt, er wüsste nichts von ihr, nichts von dem was sie fühlte - doch Stephanos hatte alles gewusst und sich ebenso verstellt wie sie.
    „Ich habe nicht mehr die Kraft für eine Enttäuschung“, gab sie Kokkaline zu verstehen, als diese am Abend an ihre Kline trat und sie inständig bat, wieder Lebensmut zu fassen. Neaira war gefasst, doch noch immer war ihr Blick trübe und hoffnungslos. „Was soll ich denn tun, Kokkaline? Wofür soll ich leben?“
    Die Sklavin kniete sich vor sie und nahm die Hand ihrer Herrin. „Für deine Tochter, Herrin! Hast du nicht geschworen, dass es Phano nicht so ergehen soll wie dir?
    Du bist stark, Herrin! Bitte gib nicht auf.“
    Neaira streichelte gedankenverloren über Kokkalines Kopf und dachte an das missmutige zehnjährige Mädchen, dessen Erziehung sie Thratta überlassen hatte. Sie kannte dieses Mädchen ebenso wenig, wie sie Stephanos

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