Der Gesang des Satyrn
Apollodoros vergaß Neaira jedoch an dem Tag, als Thratta aufgeregt in Stephanos Haus gelaufen kam und Neaira mitteilte, dass Phano schwanger sei.
„Ist sie glücklich darüber?“, fragte Neaira ihre Sklavin und betete gleichzeitig zu Aphrodite, dass es so wäre.
„Ich glaube schon, obwohl sie noch immer mürrisch ist und sagt, dass ihr diese Schwangerschaft endlich einen Grund gibt, sich dem Ehelager fernzuhalten. Phrastors Zuneigung kühlt immer mehr ab, weil Phano ihm zu eigenwillig ist, aber auch er scheint glücklicher als vorher.
Vielleicht wird dieses Kind die Ehe retten, Herrin. Ich hatte schon befürchtet, Phrastor würde Phano wegen ihrer Trinkfreude und dem Unwillen sich anzupassen zurück in ihr Elternhaus schicken.“
Neaira erleichterte Thrattas Auskunft einerseits, andererseits war sie in großer Sorge. „Ich hoffe, dass diese Schwangerschaft sie mäßigt. Nichts wäre schlimmer, als wenn Phrastor sie mitsamt dem Kind verstößt.“ Sie seufzte, und die alte Verzweiflung überkam sie. „Sie ist nur eine Frau und der Willkür ihres Gatten ausgeliefert.“
Etwa ein Jahr nach ihrer Hochzeit stand Phano mit rundem Leib in einem weißen Peplos vor Stephanos Haus, an ihrer Seite Thratta, die zwei geschnürte Bündel trug. Neaira, die sie von der Fensteröffnung ihrer Räume aus gesehen hatte, kam ihr entgegen und sah Phano mit ungutem Gefühl an.
Ihre Tochter sah aus wie das blühende Leben, die Schwangerschaft hatte sie schöner denn je gemacht.
Lediglich ihre Unzufriedenheit, die man in Phanos Augen sehen konnte, verlieh ihrer Schönheit einen Makel.
„Kommst du, deinen Vater zu besuchen?“, fragte Neaira deshalb vorsichtig und betete zu Aphrodite, dass es so war.
Phano lächelte schmallippig. „Phrastor hat sich von mir scheiden lassen und mich zurück in die Obhut meines Vaters geschickt“, stellte sie ohne große Trauer klar.
Neaira hob die Hände in einer verzweifelten Geste.
„Hast du ihn verärgert oder zu viel getrunken während deiner Schwangerschaft? Was soll jetzt aus dir werden?“
Langsam trat Phano von einem Fuß auf den anderen.
Die Schwangerschaft war bereits so weit fortgeschritten, dass ihr langes Stehen schwerfiel. „Sag du es mir, Neaira.
Phrastor hat das Gerede eines gewissen Apollodoros zum Grund genommen, meine Mitgift zu behalten. Der behauptet nämlich, dass ich nicht die Tochter der Gemahlin meines Vaters sei, sondern deine ... die Tochter einer Hure aus Korinth, die sich durch viele Betten geschlafen hätte! Damit besäße ich keine Bürgerrechte, und unsere Ehe wäre ungültig, da nur Bürgerinnen Athens heiraten dürfen.“
Neaira fühlte sich, als würde sie in das Auge des Sturmes hineingezogen werden.
„Hat er recht, Neaira?“ In Phanos Worten lag kein Vorwurf, vielmehr klangen sie herausfordernd.
Neaira musste sich zwingen, dem Blick Phanos standzuhalten. „So ein Unsinn, bei den Göttern des Olymp“, konterte sie schnell. „Du bist die Tochter von Stephanos Gemahlin.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln, das nicht viel Gefühl für Phano vermuten ließ. „Dein Vater wird diese Sache aufklären.“
Während Phano Neaira in das Haus folgte, hielt sie den Blick auf den Boden gerichtet. Leise sprach sie zu Neaira, damit Thratta ihre Worte nicht hörte: „Es tut mir nicht leid Phrastor zu verlieren, denn ich mochte ihn nie. Es tut mir auch nicht leid für mich selbst, denn ich bin froh diesem langweiligen Mann und der Ehe mit ihm zu entkommen.“
Sie machte eine bedeutungsvolle Pause und hielt Neaira am Arm fest. Wie Krallen schlossen sich die Finger der Tochter um ihr Handgelenk. Neaira erschrak über die eisige Kälte in Phanos Blick. „Aber es schmerzt mich für mein armes ungeborenes Kind. Sollte es deinetwegen auf seine Bürgerrechte verzichten müssen, Neaira ... ich schwöre es dir bei Athene ... dann sollst du deines Lebens nicht mehr froh werden!“
Sie durfte es niemals erfahren, niemals die Wahrheit wissen! Aphrodite musste ihr einfach beistehen. Neaira schluckte die aufkommenden Tränen mit der Wahrheit hinunter und bedeutete Phano unwirsch, endlich ins Haus zu gehen.
20. Kapitel
Ein ehrbares Kind
Stephanos war außer sich. „In zwei Mondumläufen wird Phano sein Kind zur Welt bringen, und er schickt sie fort wie eine Sklavin und erdreistet sich ihre Mitgift einzubehalten. Das kann ich schon allein wegen meines Rufes nicht dulden!“ Sein sonst so friedliebendes Wesen war in Aufruhr wie Neaira es selten bei ihm sah. „Und
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