Der Gesang des Satyrn
klarzumachen, dass die Götter launisch sind, und dass die Liebe hässliche Seiten hat, von denen Homer in seiner Ilias nichts erwähnt hatte. Als Idras sie ins Louterion führte, hatte Neaira längst vergessen, dass Hylas Haut einmal nach Salböl geduftet hatte, anstatt nach jenem beißenden Geruch, dass seine Arme sie liebevoll umfangen gehalten hatten, anstatt ihre Schenkel zu spreizen, und dass er ihr versprochen hatte, sie auf ein Brautlager zu legen, anstatt sie wie ein Tier zu besteigen.
Und es war noch etwas geschehen. Die Tür zu ihrer kindlichen Traumwelt war ein für alle Mal zugestoßen worden. Es gab keine Satyrn mehr, denen sie die Schuld geben konnte, keine Waldgeister, die Menschen dazu brachten sich wie Tiere zu benehmen und ihre Opfer zu verzaubern. Es waren die Menschen, die ihr das antaten!
Sie waren es, die schlecht waren!
„Ich hasse dich, Nikarete – dich und Idras und alle Männer, die meinen Körper von nun an besitzen werden“, war alles, was Neaira hervorzupressen vermochte als Nikarete sie am Abend in ihrem Zimmer aufsuchte, wo sie zusammengekauert auf ihrem Polster lag und die blau getünchten Wände anstarrte.
Nikarete, gekleidet in ein kostbares aber viel zu buntes Gewand, behangen mit Gold und edlen Steinen, die sie durch den Verkauf ihrer Mädchen bezahlt hatte, gab ihr die einzige ehrliche Antwort, die sie je von ihr bekommen sollte. „Ja, das weiß ich, Neaira. Das ist gut so. Hass ist das einzige Gefühl, das uns am Leben hält. Hass wird dich gesund halten in den Jahren, in denen du für mich arbeitest.
So lernen es alle meine Töchter - schnell und hart! Du hast erfreulicherweise sehr schnell begriffen.“ Nikaretes rot geschminkter Mund verzog sich zu einem spöttischen Lächeln. „Ich sagte dir ja, meine kleine Mänade, du bist zu Großem bestimmt.“
5. Kapitel
Ein Besuch in Athen
„Die Herrin hat Hylas verkauft“, teilte Idras Neaira am folgenden Tag mit und grinste dabei. Neaira war es egal. Sie hätte Hylas nicht mehr lieben können, nicht nach dem, was Nikarete ihnen angetan hatte. So war es besser – für Hylas und auch für sie.
Als Nikarete sie zum abendlichen Fest ins Andron holen wollte, weigerte Neaira sich jedoch, ihr zu folgen.
Nikarete nahm ihre Weigerung mit scheinbarem Gleichmut hin, schloss sie eine ganze Woche in ihrem Zimmer ein und wies die Sklaven an, ihr nur eine einzige Mahlzeit am Tag zu bringen. Nach einer Woche gab Neaira ihren Trotz auf und ließ sich von Nikarete zur Kline eines älteren Mannes führen, der sich ihr als Hipparchos vorstellte. Er zog sie zu sich, ließ seine Hände den gesamten Abend immer wieder unter ihr Gewand gleiten, und schob ihr Häppchen in den Mund. „Sie frisst mir schon aus der Hand“, rief er den anderen Männern zu, die lachten und sich über Neaira amüsierten. Eine Woche Hunger hatte ausgereicht, ihren Stolz zu brechen. Hipparchos war anders als Xenokleides.
Da er Schauspieler im Odeion war, fand er Gefallen an allerlei Spielen. Eines davon lernte Neaira am ersten Abend kennen. Auf der Schlafkline ließ er sie auf allen Vieren vor sich knien und meinte: „Ein gutes Pferd muss hart geritten werden.“ Dann rief er ihr allerlei Dinge zu, die er wohl auch seinen Pferden sagte, während er schnaufte und stöhnte.
Neaira spürte nichts mehr, nicht in ihrem Herzen und nicht in ihrem Verstand. Es gab nur eine Sache die wichtig war – Metaneira nach so vielen Jahren wiederzusehen, beinahe so selbstverständlich als wäre sie niemals fort gewesen. Entspannt lag sie an jenem Abend, als Neaira Hipparchos zugeführt wurde, neben einem großen noch nicht sehr alten Mann auf der Kline. Die Jahre hatten sie zu einer jungen Frau gemacht - schön, anmutig und auf eine nachlässige und unbedachte Art sehr reizvoll unter der dicken Schminkpaste. Als sie sich in die Augen sahen, schmolzen die Jahresumläufe, die sie getrennt gewesen waren, dahin. Neaira hätte gerne den Abend nur mit Metaneira verbracht. Als der Mann an Metaneiras Seite die Blicke zwischen ihnen bemerkte, flüsterte er Metaneira etwas zu, woraufhin sie schnell den Kopf schüttelte. Der Blick, den sie Neaira kurz darauf schenkte, verunsicherte sie. War es Furcht, die sie in Metaneiras Augen gesehen hatte?
Erst am nächsten Abend konnte sie mit der Freundin ein paar Worte wechseln. „Wo bist du all die Jahre gewesen?“
„Ich war die ganze Zeit hier.“
Da wusste Neaira, dass es allein Nikaretes Wille war, der darüber bestimmte, ob sie ihre
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