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Der Gesang des Satyrn

Der Gesang des Satyrn

Titel: Der Gesang des Satyrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Fiolka
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Metaneiras Hand bis zum Morgen - bis die Freundin ihren letzten Atemzug getan hatte.
    Als Metaneiras Hand kalt und steif wurde, stand Neaira auf und ging leise aus dem Zimmer, ganz so als würde die Freundin nur schlafen. Alles in ihr war stumpf und kalt. Sie konnte nicht begreifen, dass Metaneira fort war, dass sie niemals mehr ihre Nachmittage zusammen verbringen würden, dass sie die Stimme der Freundin nie wieder hören würde, weder ihr Lachen noch ihr Weinen. Langsam und wie im Traum ging sie zurück ins Haus. Tagsüber war es ruhig im Haus der Harpyie. Von nun an würde noch nicht einmal mehr Metaneiras Lachen die Einsamkeit vertreiben können. Nikaretes Haus spiegelte die Einsamkeit in Neairas Herzen wider. Sie war allein, und sie fror. Dieses Mal wurde sie nicht aufgehalten, als sie das Andron betrat.
    Auch hier fand Neaira nur Leere vor - leere Weinschalen, leere Klinen, leere Feuerbecken. Die Harpyie saß auf ihrem thronartigen Stuhl, eine Wollspindel in der Hand. Obwohl sie die ganze Nacht bei den Gästen verbracht hatte, war sie schon wieder angekleidet und geschminkt für den Tag. Die Harpyie schlief wenig, und sie war immer wachsam!
    „Sie ist tot“, flüsterte Neaira als Nikarete sie entdeckte.
    Die roten Lippen bewegten sich nicht, keine Braue hob sich, um Bestürzung, Bedauern oder wenigstens Zorn zu zeigen. Ungerührt fuhr Nikarete mit ihrer Arbeit fort, wand weiter Wollfäden auf die Spindel. „Das ist schade – zwei Jahresumläufe hätte sie noch gut für mich arbeiten können.
    Die Götter haben anders entschieden.“ Dann schien Nikarete doch noch etwas einzufallen. Sie beäugte Neaira mit unzufriedenem Gesichtsausdruck. „Der Herr Phrynion war sehr enttäuscht, als er gestern allein auf der Kline erwachte. Mir schien, dass er Gefallen an dir gefunden hatte, mehr vielleicht, als es für einen Mann gut ist! Wenn du mir ein Geschäft mit deiner Gedankenlosigkeit verdorben hast, wird dir das leidtun. Er ist ohne Umschweife nach Athen gereist und hat entgegen seiner Gewohnheit nicht gesagt, wann er wieder mein Haus besucht.“
    Erst bei Nikaretes Worten dachte Neaira wieder an Phrynion. Enttäuschung machte sich breit, als sie an seine Arme dachte, in denen sie in der Nacht als Metaneira starb so viel Frieden und Lust empfunden hatte. Schon wieder ein Mensch, der sie verließ. Sie hatte gehofft, dass er tatsächlich daran gedacht hatte, sie freizukaufen. Vergiss dieses trügerische Glück! Metaneira ist tot, sie wird nie wieder die Nachmittage mit dir verbringen. Du kannst nie mehr zu ihr gehen, wenn du einen Rat oder Trost brauchst! Mit Gewalt zwang Neaira sich, nicht mehr an Phrynion zu denken. Nie wieder würde sie für einen Mann tanzen! Aber für Metaneira würde sie noch einen letzten Tanz wagen. „Sie hätte nicht sterben müssen. Ich habe Idras angefleht einen Arzt zu rufen. Aber Idras ließ mich nicht zu dir, Herrin.“
    Nikarete schürzte die Lippen. „Ich habe Idras die Anweisung gegeben so zu verfahren, wie sie es für gut heißt. Wenn sie sagt, dass ein Arzt nichts hätte tun können, dann wäre dem Mädchen auch nicht mehr zu helfen gewesen. Idras kennt sich in solchen Dingen aus.“
    Noch immer suchte Neaira nach einem Zeichen des Bedauerns in Nikaretes Worten. Doch so sehr sie sich auch bemühte – da war kein Bedauern. Der Harpyie bedeutete Metaneiras Leben nicht viel mehr als das eines Nutztieres.
    Wie betäubt von dieser Erkenntnis verließ Neaira das Andron.
    Neaira schloss der toten Freundin gerade die Augen, als hinter ihr jemand ins Zimmer trat. Blinzelnd wischte sie sich die Tränen fort und wandte sich um. Stratola stand an der Türschwelle, vorsichtig bedacht den Raum mit der Toten nicht zu betreten. Sie war abergläubisch wie alle Mädchen und fürchtete, von Metaneiras Schatten in den Hades gezerrt zu werden.
    Trotzdem ließ sie es sich nicht nehmen, Neaira boshaft anzugrinsen. „Die Schwarze hat Beeren des Efeus benutzt, weil sie wollte, dass Metaneira stirbt. Bei mir hat sie die Wurzel des Fenchels zubereitet, und ich lebe noch. Es war kein Trank um ein Kind zu töten, sondern die Mutter. Ich bin Sklavin seit meiner Geburt. Wir wissen so etwas im Gegensatz zu euch, die ihr denkt, dass ihr besser seid.“
    Neaira musterte Stratola, wie sie dort in ihrem wollenen Chiton im Türrahmen stand, schlank wie eh und je, aber mit mürrischen Falten um die Mundwinkel. Die Männer, die Stratola Nacht für Nacht und Jahr für Jahr benutzten, hatten sie ausgelaugt. Wie oft

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