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Der Gesang des Satyrn

Der Gesang des Satyrn

Titel: Der Gesang des Satyrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Fiolka
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mochte Idras ihr schon geholfen haben ... und noch immer lebte sie, während Metaneira tot war. Stratola schien Neairas Gedanken zu erraten. Sie genoss es sichtlich, Neaira überlegen zu sein.
    „Du kannst es mir glauben, ich weiß, wovon ich spreche.
    Es war eine gute Gelegenheit für sie, eine von euch loszuwerden.“
    Eiseskälte kroch in Neairas Glieder bei Stratolas Worten. Ich habe ihr immer gesagt, dass sie euch trennen soll , erinnerte sie sich an Idras Worte. Stratola mochte boshaft sein, gemein und verdorben ... aber sie sagte die Wahrheit.
    Langsam stand Neaira auf und ging auf Stratola zu. Die Andere war viel größer und älter, sodass sie nicht zurückwich und keinerlei Angst verspürte. Stratola schien geradezu auf die willkommene Gelegenheit zu warten, sich mit ihr zu prügeln. Aber Neaira stürzte sich auf sie wie von Sinnen, setzte sich rittlings auf Stratolas Brust und zerrte mit roher Gewalt an ihren Haaren. Als Neaira ihr mit den Fingernägeln das Gesicht zerkratzte, begann Stratola zu schreien. „Du bist wahnsinnig. Du bist eine Mänade!“ Sie schaffte es, Neaira von sich zu stoßen und rutschte auf ihrem Hinterteil zurück auf den Hof. Dort klopfte sich Stratola den Staub aus dem Chiton und fuhr sich über ihre blutigen Wangen. Erschrocken betrachtete sie das Blut auf ihren Fingern und zischte: „Du wirst schon sehen, was Idras mit dir tut!“ Dann rannte sie davon und schloss sich in ihrem Zimmer ein.
    Neaira stand zitternd auf und ballte die Fäuste. Es dauerte eine Weile, bis ihre angestauten Gefühle sich beruhigt hatten. „Ich werde euch zeigen, wozu ich fähig bin ... euch allen!“ Neaira sagte es zu sich selbst, da sie meinte ersticken zu müssen, wenn sie es nicht tat. „Ihr nennt mich Mänade, und ihr habt mich zu einer gemacht!
    Jetzt werde ich euch bezahlen lassen.“ Sobald sie ihr Versprechen in den leeren Raum gesagt hatte, suchte Neaira das Bleiweißpulver, welches Metaneira in einer verzierten Holzschatulle aufbewahrte. Sie war eines der wenigen Geschenke von Lysias, das Nikarete ihr nicht genommen hatte, da es nicht wertvoll genug war. Mit tiefem Hass im Herzen verbarg Neaira das weiße Pulver in ihrer Faust, dann ging sie zurück ins Haus und schlug den Weg zu Idras Zimmer ein. Auf dem Boden vor dem Raum stand die Platte mit Idras Morgenmahl, das eine Sklavin dort jeden Morgen abstellte. Neaira wusste, dass Idras morgens zuerst die gesponnene Wolle des letzten Tages zu den Händlern brachte, bevor sie ihr Mahl einnahm.
    Langsam ließ Neaira das Bleiweiß in die frische Ziegenmilch rieseln, wo es nicht auffiel. Ich hoffe, dass deine Schreie den Tartaros erzittern lassen! Und wenn ich dir irgendwann dorthin folge, werde ich zusehen wie die Vögel dir jeden Tag aufs Neue das Fleisch von den Knochen picken. Neaira stand auf, ging in ihr Zimmer und weinte um die tote Freundin, bis die Erschöpfung der letzten Nacht sie in einen unruhigen Schlaf fallen ließ.
    Sie erwachte am frühen Abend, als Nikarete mit geröteten Augen ihre Tür aufstieß und sich auf sie stürzte. Ihre Versuche, mit den Fäusten auf Neaira einzuschlagen, wirkten kraftlos. Das Haar der Harpyie war wirr, ihr Mund zu einer hässlichen Fratze verzerrt. Sie hatte keinerlei Schminke aufgelegt, und ihr fleckiges Gesicht zeigte mehr Spuren des Verfalls denn je. Obwohl sie zornig war, empfand Neaira das erste Mal keine Furcht vor Nikarete.
    „Sie ist tot, und ich weiß, dass du sie vergiftet hast!“
    Neaira stieß sie mit aller Kraft von sich. Nikarete prallte mit der Schulter gegen die blaugetünchte Wand. Dort blieb sie stehen und starrte Neaira an als könne sie nicht begreifen, dass diese Sklavin es tatsächlich gewagt hatte, Idras zu vergiften. Schließlich wischte Nikarete sich mit der Hand über die Augen und rang um Fassung. „Du hast sie getötet, gib es zu.“
    Neaira setzte sich auf ihrem Lager auf und umschlag die Knie mit den Armen. Der Hass, den sie all die Jahre unterdrückt hatte, sprudelte aus ihr heraus wie ein Schwarm gefräßiger Insekten. Es war ein gutes Gefühl zu wissen, dass Idras tatsächlich tot war. Aphrodite mochte ihr vergeben ... oder eben nicht. „Ja! Ich habe sie vergiftet, ebenso wie sie Metaneira vergiftet hat. Ich wusste nicht, dass du ein Herz hast zu lieben Nikarete, denn du behandelst uns schlechter als Tiere. Diese boshafte Alte hast du jedoch geliebt. Aber ich freue mich, dass es so etwas wie ein Herz in dir gibt – bei Aphrodite, ja es freut mich. Denn ich gönne

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