Der Gesang des Satyrn
versteigert hat.“ Sein Gesicht war so ernst, wie Neaira es noch nie gesehen hatte. Da wurde ihr klar, dass nicht nur sie die ganze Zeit an ihn gedacht hatte, sondern auch sie in seinem Kopf gewesen war. „Kauf mich von ihr frei. Nimm mich mit nach Athen.“ Wie offen sie ihre Wünsche auf einmal aussprechen konnte. Tatsächlich schienen sie sich ähnlich zu sein, jetzt, nachdem sie sich einander offenbart hatten. Phrynion ließ eine Strähne ihres Haares durch seine Finger gleiten und zeigte erneut sein spöttisches Lächeln. „Was gibst du mir dafür, dass ich dich von ihr freikaufe?“
„Alles!“ Er sollte sehen, dass es ihr ernst war.
Ihre Antwort schien ihn zu überraschen. Phrynion zog sie an sich und hielt sie fest als wolle er sie nicht mehr loslassen. „Du bringst einen hohen Einsatz und bist so jung, dass du gar nicht ermessen kannst, wie hoch er ist -
doch wir werden sehen.“
Ihre Körper schmiegten sich aneinander als wären sie einer. Das erste Mal seit Neaira denken konnte, schlief sie in den Armen eines Mannes ein. Ihr Kopf war vollkommen leer, während er auf Phrynions Brust ruhte. Sie empfand einen nie gekannten Frieden, bevor ihr die Augen zufielen.
Neaira erwachte vom lauten Geschrei, das durch den Spalt über der Tür drang, und setzte sich ruckartig auf der Kline auf. Misstrauisch warf sie einen Blick auf Phrynion. Er lag friedlich neben ihr und schlief. Neaira entspannte sich und betrachtete diesen geheimnisvollen Mann, dessen Quelle zu tief war, als dass sie bis auf den Grund hätte schauen können. Kurz war sie versucht die Hand nach ihm auszustrecken und das wellige braune Haar zu berühren, wagte es jedoch nicht. Leise rutschte sie vom Lager, um in ihren Chiton zu schlüpfen. Alles in ihr wehrte sich dagegen zu gehen, doch ein ungutes Gefühl sagte ihr, dass etwas mit Metaneira geschehen war. Leise öffnete Neaira die Tür und schlüpfte hinaus in den Flur. Auf nackten Füßen rannte sie durch das verlassene Andron und schlug den Weg in den Hof ein.
Sie hatte sich nicht geirrt. Der ganze Hof war in Aufruhr, die Mädchen spähten aus ihren Türen, um etwas vom Geschehen mitzubekommen. Selbst Stratola lehnte an ihrer Zimmertür und bedachte Neaira mit einem missmutigen Blick, als diese an ihr vorbei lief. Neaira hatte keinen Blick für Stratola übrig und stolperte stattdessen in Metaneiras Zimmer. Idras stand wie ein dunkler Fluch vor Metaneiras Lager, ihre Weidenrute in der Hand. Metaneira hatte sich zusammengerollt wie ein Hündchen und wimmerte, als Neaira durch die Tür stürzte.
„Was ... ?“, begann Neaira, als sie Idras Stock heftig traf. Ihr blieb kurz die Luft weg, dann begann Idras zu keifen. „Du musst es gewusst haben, du elendes kleines Stück Dreck. Ihr erzählt euch doch alles, und du hast es für dich behalten.“
Vollkommen überrumpelt erkannte Neaira, dass es keinen Sinn hatte zu lügen. „Idras, lass eine Nachricht an den Herrn Lysias schicken. Er würde Metaneira aus den Diensten Nikaretes auslösen. Er liebt sie sehr!“
Idras Augen funkelten boshaft, und sie bedachte die jammernde Metaneira mit einem mitleidlosen Blick. „Sie bringt der Herrin mehr Geld, wenn sie für sie arbeitet.
Aber das Kind muss verschwinden. Ihr könnt den Göttern danken, dass es noch früh genug dafür ist. Das geschieht, wenn man den Mädchen zu viel Freiheiten erlaubt und sie aus dem Haus lässt.“ Metaneira nahm all ihren Mut zusammen. „Bitte Idras, in weniger als zwei Jahresumläufen bin ich doch ohnehin zu alt für Nikarete.“
Idras winkte ab. „Die Herrin hat entschieden. Ich bereite dir einen Sud, den du trinken wirst.“
Metaneira begann zu schluchzen. „Bei Aphrodite, Idras, ich flehe dich an, sprich noch einmal mit der Herrin.“
Doch Idras beachtete sie nicht mehr. Stattdessen sah sie Neaira aus ihren schwarzen Augen an. „Du kannst bei ihr bleiben und ihr helfen, das Balg aus ihrem Körper zu treiben. Das wird dir eine Lehre sein, deine Bleisalbe nicht zu vergessen. Ein Kind abzutreiben ist eine schmerzhafte und unangenehme Sache.“
Idras ließ die Mädchen allein. Kurze Zeit später kam sie mit einer Trinkschale in der Hand zurück, die sie Metaneira gab. „Es ist ein starker Absud, die wirksamste Art eine ungewollte Leibesfrucht loszuwerden.“
„Aber es ist gefährlich“, jammerte Metaneira unglücklich.
„Wirksam!“, beharrte die Schwarze. Dann zwang sie Metaneira mit einem Kopfnicken, die Schale zu leeren.
Neaira hielt Metaneiras
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