Der Gesang des Wasserfalls
haben. Das mochte zwar kindisch sein, aber er hatte sie verärgert. Sie fragte sich, warum sie sich früher durch den Altherrencharme des Hoteldirektors hatte einschüchtern lassen. Aber er hatte ihr ein hervorragendes Zeugnis gegeben und ihr Kontakte in England und Singapur vermittelt.
Madis Kollegen aus dem Hotel luden sie am Ende der Woche zum Essen ein. Sie gingen in ein paraguayisches Restaurant, aßen Lamm vom Asado-Grill mit Kartoffeln und würziger Soße. Während des Essens wurden Karaffen mit Rotwein herumgereicht. Anfänglich war Madi amüsiert über die Bemerkungen ihrer Kollegen, dass sie von ihr nichts anderes erwartet hätten. Sie schienen sie um ihren kühnen Schritt zu beneiden.
»Dir steht der Erfolg doch ins Gesicht geschrieben. Du wirst Großes erreichen, ganz Großes, Madi«, sagte Frank, der Buchhalter.
»Du wirst am Kronleuchter schwingen, aber nicht, um dann abzustürzen und durch die Glasdecke zu fallen«, sagte Louise aus der Personalabteilung. »Wir wussten alle, dass du diejenige sein würdest.«
»Diejenige was?«, fragte Madi etwas verwirrt. Die bisherigen Komplimente hatte sie als weinseliges Gerede abgetan, aber jetzt spürte sie, dass diese Menschen, mit denen sie fünf Jahre zusammengearbeitet hatte, etwas von ihr wussten, wovon sie keine Ahnung hatte.
»Typisch Madi, immer so bescheiden. Du wirst einen Riesenerfolg haben. Riesig. Du hast alles, was dazugehört. Wenn du einen Raum betrittst, ziehst du sofort alle Aufmerksamkeit auf dich. Das ist wie bei Schauspielern. Manche haben es, andere nicht.«
»Ich hoffe, wir kriegen einen Job bei dir, wenn du mal eine Hotelkette in Europa oder Amerika leitest«, fügte Tony hinzu, der für das Küchenpersonal zuständig war.
Madi tat das alles mit einem Lachen ab. Doch als sie abends im Bett lag und über das Gesagte nachdachte, spürte sie, wie allmählich Groll in ihr hochstieg. Sie besaß eine Menge Humor und berufliche Qualitäten. Andere dachten das auch. Aber während ihrer Ehe mit Geoff hatte er ihr dauernd gesagt, sie sei eine Heuchlerin. Würde sich ihren Weg durch einen Job erschwindeln, der ihre Fähigkeiten weit überforderte.
Wenn sie ihm von einer Marketingidee oder einem Werbekonzept erzählt hatte, die sie der Hotelleitung vorlegen wollte, hatte er nur verächtlich geschnaubt. »Von wem hast du denn die Idee geklaut?« Und wenn sie ihm von erfolgreichen Kampagnen und Veranstaltungen erzählte, die sie sich ausgedacht und organisiert hatte, zweifelte er das an. »Ja, du, und wie viele andere waren noch daran beteiligt? Du kannst mir nichts vormachen, Madi. Ich kenne dich besser als alle anderen. Du wirst auf die Schnauze fallen, flach aufs Gesicht. Eines Tages wirst du es schon merken.«
Und wenn ihr dann Tränen in die Augen traten, wandte er sich mit einem Ausdruck der Zufriedenheit ab. Schließlich fragte sie: »Was merken? Was soll ich denn getan haben? Warum glaubst du mir nicht?«
Jetzt war sie entsetzt darüber, wie lange sie sich diese verbalen Misshandlungen hatte bieten lassen. Erst im Rahmen einer psychologischen Beratung war ihr klar geworden, dass Geoff sie benutzt hatte, um seine eigenen Unzulänglichkeiten auszugleichen. Wie Matthew gesagt hatte, Geoff bezog irgendwie Stärke daraus, eine Person wie sie zu demütigen, die ein Erfolgstyp war, ein anständiger und guter Mensch. Dr. Geoffrey Churchill hatte eine Karriere in der Kulturverwaltung angestrebt, nachdem er sich aus der akademischen Welt der Universität Sydney zurückgezogen hatte, wo er seinen Doktor in Philosophie gemacht und Kunstgeschichte gelehrt hatte. Gleich von Anfang an war es ihm schwergefallen, sich an das Leben außerhalb der geschützten Mauern der Universität anzupassen. Sie hatten sich in einem Tennisclub kennen gelernt, und rückblickend war Tennis wahrscheinlich das einzige, was sie gemeinsam hatten. Er hatte sie mit Einladungen in die Oper und Besuchen von Kunstgalerien umworben. Danach hatte er sich stets ausführlich über die Bedeutung und die Feinheiten des Künstlers oder die Qualität der Aufführungen ausgelassen und das als ihre Einführung in die »feineren Facetten der Kultur« bezeichnet.
Madi war sich bewusst, dass sein Wissen weit über das ihre hinausging, wenn sie auch diese Anmaßung seiner Rolle als Lehrer ein wenig herablassend fand. Aber sie ließ es sich nicht anmerken, weil es ihm so viel Freude machte, sie zu unterweisen. Er kritisierte sie auch sanft in der Auswahl ihrer Kleidung und schlug vor,
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