Der Gesang des Wasserfalls
sie solle ihr Haar zu einer Außenrolle aufstecken, statt es offen zu tragen. Zuerst genoss sie es, dass er sich so um sie kümmerte, selbst als er sich angewöhnte, mit ihr einkaufen zu gehen und ihre Kleidung auszusuchen. Er verwaltete auch die Finanzen und entschied, wo sie ihre Ferien verbrachten.
Madi hatte sich zu seiner liebevollen, umsorgenden Art hingezogen gefühlt, die sie an ihren Vater und ihren Bruder erinnerte. Geoff war ein attraktiver Mann, der von anderen Frauen bewundert wurde, und sie vermutete, dass seine Studentinnen ihn anhimmelten und ihren charmanten und belesenen Dozenten sehr anziehend fanden.
In den ersten Monaten hatte Madi versucht, ihn zu ändern, hatte ihn überredet, mit ihr Picknicks und Wanderungen zu machen. Er hatte ihr zuliebe mitgemacht, hatte sich aber nur halbherzig darauf eingelassen. Kurz nach der Hochzeit hatte er diesen »oberflächlichen« Aktivitäten einen Riegel vorgeschoben. Gleichzeitig verbrachte er immer mehr Zeit an seinem neuen Arbeitsplatz. Zu Hause beschäftigte er sich dann mit seiner geliebten Sammlung klassischer CD s und sah sich undurchschaubare ausländische Filme an. Sie widmeten sich beide mehr und mehr ihren eigenen Interessen. Allmählich spürte sie, dass er, ausgelöst durch eingebildete oder tatsächlich vorhandene Berufsschwierigkeiten, unter einem nachlassenden Selbstwertgefühl litt. Aber er weigerte sich, mit ihr darüber zu sprechen. Stattdessen erniedrigte er sie und schöpfte daraus Kraft. Dann verließ er hoch erhobenen Hauptes das Haus, um sich der Herausforderung eines weiteren Tages zu stellen.
Nach solchen Nächten voller Demütigungen fühlte Madi sich ausgelaugt und emotional völlig erschöpft. Oft weinte sie im Auto auf der Fahrt zur Arbeit, fragte sich, was aus ihren Träumen geworden war, die sie sechs Jahre zuvor in einem solchen Wirbelsturm zum Altar geführt hatten. Aber wenn sie in die dunkle Höhle der Tiefgarage unter dem Hotel einfuhr, trocknete sie ihre Tränen, atmete tief durch und hatte beim Betreten ihres Büros für alle ein fröhliches Lächeln parat.
Jeden Morgen ließ sie unter der Dusche die heißen Nadeln des Wasserstrahls von Nacken und Schultern abprallen und überlegte, was sie mit ihrem Leben anfangen sollte. Dann stand sie eines Morgens auf und beschloss, dass es Zeit war zu gehen. Einfach zur Tür hinaus. Sie tat das, was sie jeden Morgen tat. Sie bügelte sein Hemd und hängte es an den Knauf der Schlafzimmertür, presste Orangensaft aus und stellte ihn neben die Kaffeekanne, während er in der Dusche war. Sie zog sich sorgfältig an und öffnete die Badezimmertür, ihren Aktenkoffer und eine Reisetasche in der Hand. »Ich gehe, Geoff.«
»Na und?« Er lugte durch das beschlagene Glas. »Hast du wieder eine unglaublich wichtige Konferenz, eine tolle Verabredung zum Lunch, irgendeine schicke Marketingpräsentation?« Seine Stimme war schneidend, herablassend. »Nicht wie wir anderen, der restliche Pöbel, der sich irgendwo ein Sandwich schnappt oder in einer Imbissbude isst.«
»Du hast mir doch gesagt, du wärst Mitglied im
Tatt's Club
geworden. Ach, vergiss es, das spielt keine Rolle mehr. Ich gehe.«
»Und? Dann geh doch. Oder willst du mir damit sagen, dass du erst spät nach Hause kommst … eine Veranstaltung oder so was, und ich soll nicht mit dem Essen auf dich warten, ist das der Grund für diese rührende Verabschiedung?«
»Geoff, ich gehe. Für immer. Ich verlasse dich. Heute nacht bleibe ich im Hotel, und morgen können wir darüber reden.«
Leise schloss sie die Tür und holte tief Luft. Dann noch mal, weil sie merkte, dass sie kurz davor war, einen Schwächeanfall zu bekommen.
Sie hatte den Flur zur Hälfte durchquert, als hinter ihr die Badezimmertür aufgestoßen wurde. Er packte sie an der Schulter und wirbelte sie zu sich herum. »O nein, das wirst du nicht. Du haust nach so einer Bemerkung nicht einfach ab. Was denkst du dir eigentlich?«
»Genau das, was ich gesagt habe. Ich verlasse dich.« Sie sprach mit müder, resignierter Stimme und vermied es, den tropfenden, wütenden Mann anzusehen, der ein Handtuch umklammert hielt.
»Den Teufel wirst du tun. Wozu denn? Wenn du's mit jemand anderem treibst, dann kannst du mich mal. Das Spiel können auch zwei spielen. Denk bloß nicht, du kommst mir so leicht davon. Das lass ich mir nicht bieten.«
»Es gibt niemand anderen, Geoffrey. Wir fühlen uns beide miserabel. Und das seit Jahren. Warum sollen wir so weitermachen? Ich sehe
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